New normal auf Japanisch

Die japanische Regierung hat letzte Woche Montag kinkū jitai sengen no kaijo bekannt gegeben, die offizielle Aufhebung des Notstands, dann auch für die letzten verbleibenden Präfekturen inklusive Tokio.

Wie andere Länder auch, zieht Japan anlässlich der Lockerungen Bilanz: 17.000 registrierte Fälle von Infektionen und 850 Todesfälle. Es ist kein Geheimnis, dass ungeachtet zahlreicher Empfehlungen und Warnungen japanischer und internationaler Experten vergleichsweise wenige Tests durchgeführt wurden und werden. Wie aussagekräftig also die erste Zahl ist, sei dahingestellt. Allerdings spricht die im weltweiten Vergleich geringe Zahl an Todesfällen sehr dafür, dass Japan entweder sehr viel Glück hatte oder sehr viel richtig gemacht hat hat. Oder beides.

Als einflussreiche Faktoren für diese Entwicklung werden immer wieder das Gesundheitssystem, die effektive Lokalisierung von Clustern im Anfangszeitraum und die allgemeine Neigung der Japaner zu einem gesunden Lebensstil genannt.
Die Maßnahmen des Lockdowns waren zwar nicht gesetzlich bindend, haben aber dennoch zu einem deutlichen Rückgang der Besucherströme in Restaurants, Cafés, öffentlichen Anlagen, Büros und in der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs geführt. Auch, was die unkomplizierte und bereitwillige Nutzung von Masken angeht, sind sich immer mehr Experten einig, dass dieser Umstand Japan im Kampf gegen Corona bisher sehr geholfen hat.

Die japanische Regierung hat sich zur Bewertung vor Aufhebung des Notstands für ein 3-Kriterien-System entschieden, dass die einzelnen Präfekturen erfüllen mussten: ein Verhältnis von Neuinfektionen pro Woche von weniger als 0,5 pro 100.000 Personen, die Stabilität des Gesundheitssystems unter Einbeziehung von verfügbaren Krankenhausbetten und Anzahl der Personen mit schweren Symptomen sowie die Fähigkeit Infektionen zu überwachen, z.B. durch Testverfahren.
„The Japanese model has demonstrated its strenght“, fasst Premieminister Abe zusammen.

Übrigens eine völlig andere Wortwahl, als die von Jens Spahn in einem Artikel in der Japan Times: „[…] it makes us humble, rather than overconfident“ sagt er in Bezug auf Deutschlands Sicht auf den – von der internationalen Presse wiederholt gelobten – Umgang mit dem Virus.

International Media

Blick von außen

Mal ganz abgesehen von der Corona-Krise ist es für mich hier am anderen Ende der Welt sehr aufschlussreich über die Geschehnisse in Deutschland auch mal aus internationaler Sicht zu lesen. Klar hätte ich das auch früher haben können, ich habe die internationalen Medien aber nie oder wenn, nur zufällig, genutzt, um mich über deutsche Zusammenhänge zu informieren. Und aktuell, ganz speziell im Falle einer so großen weltweiten Krise, ist es neben der deutschen Berichterstattung, mit all ihren Facetten und oftmals ermüdenden Details wie dem Unmut der Deutschen Masken zu tragen oder Massendemonstrationen gegen Corona-Maßnahmen, auch einfach mal schön zu lesen, dass Deutschland eine ganze Menge richtig gemacht zu haben scheint. Und, um nochmal auf die Wortwahl zurückzukommen, ohne Kriegsmetaphern zu wählen sondern statt dessen das Miteinander und eine gemeinsame Verantwortung in den Fokus zu stellen.

Zurück ins Neue

Aber wieder zu Japan. Was bedeutet nun die Aufhebung des Notstands für den Alltag hier? Was ist dieses ‚new normal’ in Japan?

Auf Japanisch ist es zunächst einmal korona jidai no aratana nichijō. Korona jidai bezeichnet hier die Era des Coronavirus und aratana nichijō bedeutet in etwa ‚neu jeden Tag‘.
In der Praxis heißt das erstmal, dass die Geschäfte und Kaufhäuser wieder geöffnet haben und die etablierten Social Distancing Maßnahmen beibehalten werden, also Masken tragen, Abstand halten, Hände waschen etc. Veranstaltungen werden nach und nach wieder zugelassen von wenigen Teilnehmern bis zu Großveranstaltungen, je nach Verlauf. Auch in Japan ist klar, dass es eine Rückkehr zum „Vorher“ erstmal nicht geben wird. Jede Präfektur will in einem 3-stufigen Prozess die Maßnahmen lockern, seit diesem Montag befinden wir uns in Stufe 2, in der bis auf große Entertainmenteinrichtungen oder Großveranstaltungen soweit wieder alles in Betrieb ist, wenn auch mit Einschränkungen.

Gaijin in Japan

Welche Maßnahmen richtig sind und zu welcher Zeit, sie durchgeführt werden sollten, ist sicherlich weltweit eine anspruchsvolle Entscheidung und schwer einzuschätzen und zu bewerten. Eine bestimmte Entscheidung der japanischen Regierung gibt mir als Gaijin, also Ausländer in Japan, allerdings sehr zu denken: als einziges Land der G7 verhindern die Einreisebeschränkungen Japans seit April eine Einreise von Ausländern, auch wenn sie Einwohner des Landes sind, so wie wir, oder sogar mit einem Japaner oder einer Japanerin verheiratet sind. Seit Wochen betrifft diese Regelung mehr und mehr in Japan lebende Ausländer, die aus vielen Gründen in anderen Ländern festsitzen und keine Möglichkeit haben in ihr Zuhause, in ihren Job und zu ihren Familien und Freunden zurückzukehren. Für uns heißt das: müssten wir etwa aufgrund eines Notfalls in der Familie das Land verlassen, könnten wir auf unbestimmte Zeit nicht an unseren Wohnort zurückkehren. Zwar gibt es offiziell die Möglichkeit, eine Sondererlaubnis zu beantragen, aber keine Voraussetzungen oder Garantien dafür.

Auch wenn mir bewusst ist, dass Japan mit einem sehr geringen Ausländeranteil von knapp 2% in vielen Fällen noch mit vielen Vorbehalten gegenüber Ausländern bis hin zu unverhohlenem Rassismus zu kämpfen hat, ist mir persönlich bisher nichts dergleichen begegnet. Außer den alltäglichen Blicken, die eine 1,78 Meter große, blonde Frau nunmal zwischen im Schnitt 1,70 Meter großen Japanern und 1,58 Meter großen Japanerinnen hervorruft, gibt es bisher zum Glück keine blöden Erfahrungen und das darf auch gerne so bleiben. Allerdings leben auch über 20% der Ausländer in Japan hier in Tokio und ganz besonders in Minato-ku, unserem Stadtteil, so dass wir hier nicht ganz so ungewohnt erscheinen wie im restlichen Land. Umso mehr finde ich diese von der Regierung angeordnete, klar diskriminierende Einreisebeschränkung, die in Japan lebende Ausländer in zum Teil existenzbedrohende Situationen bringt, sehr besorgniserregend.

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Endlich wieder raus, da ist Bahnfahren schon ein Erlebnis

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Glaube, der Affe braucht auch eine Maske

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Runter mit der Wolle

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Social Distancing beim Einkauf

93 Tage später

Seit Montag sind die Kinder nach 93 Tagen zu Hause wieder in der Schule. Die kleine Dame war so aufgeregt, dass sie die Wochenenden ab sofort am liebsten abschaffen wollte und senkrecht im Bett saß, sobald ich um 6.30 Uhr die Zimmertür geöffnet hatte. Der kleine Bube war noch etwas skeptisch: „Bus? Ich bleibe hier!“ Er fand es dann aber doch auch super und ist am Dienstag gleich mit Schwung Richtung Fahrrad und Bus aufgebrochen.

Aus Deutschland lese und höre ich immer wieder, wie schwer die Betreuungssituation sich für die Familien gestaltet. Noch lange nicht alle Einrichtungen sind geöffnet, viele nur teilweise und an echten Konzepten mangelt es oft noch.

Was das angeht, haben wir es mit unserer internationalen Schule sehr gut getroffen. Das gesamte Team hat sehr viel Arbeit in die Ausarbeitung eines Hygienekonzeptes gesteckt, das allen Beteiligten eine möglich sichere und gleichzeitig unbeschwerte Betreuungszeit ermöglichen soll. Die Kinder tragen ab sofort im Innenbereich Masken, dürfen aber eine Pause davon machen, wenn sie wollen. Sie spielen nicht so unmittelbar und eng miteinander wie gewohnt und erhalten beispielsweise eigene Beutel mit Stiften, Schere, Kleber etc., so dass häufig genutzte Utensilien nicht ständig hin und hergereicht werden müssen. Stündlich werden währen des Schultages die Flächen gereinigt und desinfiziert, jeden Tag erfolgt eine professionelle Komplettreinigung der Schule und Eltern können bis auf weiteres die Schule nicht betreten sondern müssen in getrennten Bereichen vor dem Gebäude warten. Bei allen Kindern wird jeden Morgen Fieber gemessen, bei einer Temperatur von mehr als 37,5 Grad Celsius können sie nicht teilnehmen.

Die Einhaltung aller Maßnahmen im normalen Schulalltag ist viel Arbeit für alle Lehrer und Mitarbeiter, die sich zusätzlich alle bereit erklärt haben, das Schuljahr um vier Wochen zu verlängern, um den Kindern jetzt noch insgesamt sechs Wochen Schulalltag zu ermöglichen.

Sofern kein Kind krank wird und sich die Situation nicht wieder verschlechtert, kann ich so vielleicht noch einen Monat meinen Intensivsprachkurs machen, Benni kann einen halben Tag ohne Gewusel arbeiten und die Kinder können endlich wieder ein Stück weit Normalität genießen und ihre Freunde sehen.

Wie lange das möglich sein wird, wird sich noch zeigen. Aktuell steigen die Infektionszahlen in Tokio wieder an, ein Grund das Warnsystem der Stadt zu aktivieren: neben einer Pressemitteilung soll die Beleuchtung der Rainbow-Bridge und des Tokyo Government Buildings in Rot alle Tokioter daran erinnern, sich an die Verhaltensrichtlinien zu halten und vorsichtig zu sein.

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