Im vergangenen Jahr sind uns die japanischen Feiertage und die dazugehörigen Traditionen mehr oder weniger passiert. Man wusste immer, dass etwas im Busch ist, wenn neue Deko in den Geschäften auftauchte, es auf einmal interessante Snacks zu kaufen gab, die scheinbar einem bestimmten Thema folgten und wenn Bube und Dame dazu passende Bilder und Geschichten aus dem Kindergarten mitbrachten.
Setsubun-Kunst
In unserem zweiten Jahr in Japan, kennen wir uns schon in bisschen besser aus. So kam Setsubun heute auch nicht mehr als Überraschung daher. Dieses Mal war ich vorbereitet!
Mame maki
Setsubun markiert den letzten Tag vor dem Frühlingsanfang nach dem traditionellen japanischen Kalender. In Schulen und Kindergärten, zu Hause mit den Eltern oder (in pandemiefreien Zeiten) mit vielen Menschen in Tempeln wird zu diesem Anlass gemeinsam das Böse vertrieben.
Die mehr als 500 Jahre alte, beliebteste Methode, um genau das zu erreichen, ist so pragmatisch wie unterhaltsam: das Böse in Gestalt eines Oni (Dämon), in der Familie meist verkörpert vom Vater, wird beim Mame Maki (Bohnen-Werfen) mit gerösteten Mame (Sojabohnen) beworfen. Dabei wird laut gebrüllt:
鬼は外!福は内!
Oni wa soto! Fuku wa uchi!
Dämonen raus! Glück herein!
Bohnen und Maske
Anders als letztes Jahr wusste ich also, was zu tun war: Bohnen und eine Oni-Maske für Benni mussten her. Besonders schwer zu finden ist hier nichts, was mit themenspezifischer Feiertagsgestaltung zu tun hat. Überall starren einem auf einmal rote und manchmal auch blaue Dämonenfratzen an, meist direkt daneben finden sich liebevoll verpackte Bohnen als Munition.
Entsprechend gerüstet konnte unser kleiner Dämonen-Exorzismus steigen. Zuerst noch etwas verhalten, dann aber umso wilder und lautstarker wurde Benni mit Bohnen beworfen, bis keine mehr in den Schüsseln waren (dafür aber sonst überall in der Wohnung).
Der Familien-Oni
Auf den Oni mit Gebrüll und Bohnen!
Nachwuchs-Oni
Nur den letzten Teil unserer eigenen kleinen Setsubun-Variante wollte keiner so richtig durchziehen: eigentlich muss jeder so viele Bohnen essen, wie er Jahre alt ist. Bube und Dame aßen jeweils genau eine Bohne, um dann dankend abzuwinken, Benni und ich enthielten uns lieber gleich ganz der Teilnahme…
Verschmähte Knabberei
So, lieber Frühling, du kannst kommen, wir haben ordentlich ausgemistet und Platz für viel Glück geschaffen.
Nachdem unser Herbst nachgereicht werden musste, nun aber: Willkommen im japanischen Winter!
Es ist zwar das zweite Mal für uns, dass wir den Winter in Tokio erleben, aber wie fast alles in diesem Jahr, ist nichts, wie es vorher war. Für uns ist die einschneidendste Veränderung, dass wir nicht wie geplant und wie im letzten Jahr nach Deutschland zu unserer Familie und unseren Freunden fliegen konnten. Schon bevor Deutschland in den erneuten Lockdown gegangen ist, haben wir uns aufgrund der hohen Reiseauflagen und der generellen Risiken gegen die Heimreise entschieden. Was sich mit der gegenwärtigen Entwicklung auch als richtig erwiesen hat, aber das macht es nicht unbedingt leichter.
So mussten wir uns alle erst einmal an den Gedanken gewöhnen, zum ersten Mal keine deutschen Weihnachten zu feiern. Und uns überlegen wie wir möglichst viele Bestandteile deutscher Weihnachten dennoch in unsere Weihnachtszeit in Japan einschleusen. Letztes Jahr habe ich schon ein wenig darüber berichtet, wie in Japan Weihnachten oder クリスマス (KU-RI-SU-MA-SU) gefeiert wird (Jede Menge Lichter). Es gibt eine Menge wunderschöne Weihnachtsbeleuchtung und auch einige Weihnachtsmarkt-Versuche und wie in Deutschland auch, hört man viel Weihnachtsmusik in den Geschäften, aber das war es im Prinzip auch schon mit den Gemeinsamkeiten.
Was man an Weihnachtsleckereien auch in Tokio zuverlässig kaufen kann, ist ausgerechnet Christstollen. Ich hasse Stollen. Schon immer und mit Überzeugung. Zum Glück habe ich aber noch von einem kleinen Weihnachtsbasar erfahren, den die Deutsche Kirche in Setagaya jedes Jahr ausrichtet und auf dem man Lebkuchen, Marzipan und Weihnachtsplätzchen kaufen kann. Mit dem Rad voller Einkäufe bin ich von diesem Streifzug vor dem 1. Advent wieder heim gekehrt. So waren wir kulinarisch schonmal etwas gerüstet. Zusammen haben wir dann noch Kerzen und ein bisschen Weihnachtsdeko eingekauft und unseren eigenen Adventskranz – oder eher unser Adventstablett – gebastelt. Und dann kamen zu Beginn der Weihnachtszeit noch ganz zauberhafte Pakete von Familie und Freunden, die keine Wünsche mehr offen ließen, so viele tolle Sachen wie Naschereien, Adventskalender, weihnachtliche „Stehrums“ wie Benni immer sagt, und wichtige Utensilien wie zum Beispiel Glühweingewürz wurden uns geschickt. Wir waren gerührt und bestens versorgt für diese völlig ungewöhnlichen Weihnachtswochen.
Advent, Advent
Weihnachtsessen auf Japanisch
Japan ist ja nun wirklich ein Land mit ganz hervorragendem Essen und mit viel Liebe zum Detail bis in das noch so kleinste Izakaya an der Straßenecke. Da man sich aber mit Weihnachten nicht so richtig auskennt, hat man sich an ausländischen Vorbildern orientiert. Dass es dann aber kulinarisch ausgerechnet amerikanisches Fast-Food werden musste, führt heute zu einem sehr abenteuerlichen Anblick in der Weihnachtszeit: Werbung von KFC mit dem hier berühmten Weihnachtsbucket und anderen festlichen Menüvorschlägen gefühlt an jeder Ecke. Es ist tatsächlich so: in Japan isst man gerne frittierte Hähnchenteile bevorzugt von Kentucky Fried Chicken zu Weihnachten. Vorbestellungen werden schon ab November angenommen und fleißig genutzt. Wie konnte es soweit kommen?
Seit Anfang der 70er Jahre gibt es die Fast Food Kette in Japan und Initiatorin des neuen Weihnachtsbrauchs war wohl eine Frau, die von einem benachbarten christlichen Kindergarten in die nächste KFC-Filiale spazierte, um für die Weihnachtsfeier Essen zu ordern und die die Filialmitarbeiter darum bat, das Essen als Santa verkleidet zu liefern. Selbst ich kann nach allem, was ich bisher von japanischer Servicebereitschaft und Freundlichkeit gesehen habe, sagen, wie dieser Wunsch aufgenommen wurde: Takeshi Okawara, der Filialleiter höchstpersönlich, machte sich als Santa auf zum Kindergarten und war selbstredend ein großer Hit bei den Kindern. So gut kam er wohl an, dass noch andere Schulen ihn dafür anfragten und das Marketing der Firma davon Wind bekam. Seit 1974 bis heute gibt es die großen KFC-Weihnachtswerbeaktionen. Okawara wurde später übrigens noch für viele Jahre Präsident und CEO von KFC Japan und gibt heute japanisch reuevoll und gleichzeitig bereitwillig zu, in einem Interview seinerzeit geflunkert zu haben, als er gefragt worden sei, ob denn Hähnchenteile tatsächlich eine Weihnachtstradition im Westen sein…
Wer sich schon um seine Hähnchenbestellung zum Fest gekümmert hat, kann nun den zweiten allgegenwärtigen Bestandteil zum Weihnachtsessen besorgen: クリスマスケーキ (KU-RI-SU-MA-SU KEE-KI) – den Weihnachtskuchen, oder eher die kunstvoll verzierte Weihnachtstorte. Diese Tradition folgt eher der generellen Orientierung am Wohlstand und am Einfluss des Westens der Nachkriegszeit. Schokolade und andere Zutaten waren teuer und schwer zu bekommen und dementsprechend etwas Besonderes. Westliche Weihnachten waren mit ihrer ungewohnten Pracht ein Symbol für Wohlstand, da durfte also etwas Außergewöhnliches in Form eines Keeki nicht fehlen. Die typische japanische Weihnachtstorte ist eine runde weiße Sahne-Biskuit-Torte mit Erdbeeren in der Mitte (japanische Flagge und so). Erdbeeren haben hier übrigens so von Winter bis Frühling Saison.
Wir haben auch in unserem zweiten Jahr hier unanständigerweise auf beide essbaren Weihnachtstraditionen verzichtet, aber wenn ich mich mal zu einer von beiden hinreißen lassen, dann definitiv zur Torte. Inzwischen gibt es auch nicht mehr nur Erdbeertorten sondern unfassbar viel Auswahl an wahren Kunstwerken. Nächstes Jahr vielleicht…
Eingang zum Christmas-Garden im Shība-Kōen, eher so zu verstehen wie ein Biergarten mit WeihnachtsdekoUnd mit abenteuerlichem Weihnachtsbaumschmuck..
Tiere und blaue, katzenartige Roboter
Winter ist ja hier in Tokio zunächst mal noch ein halber deutscher Herbst und ab der zweiten Dezemberhälfte können wir dann langsam von Winter sprechen, aber meist immer noch mit sehr schönen bunten Blättern zwischen der Weihnachtsdeko. Wir waren also weiterhin viel draußen und haben versucht, einen Zwischenweg aus coronabedingtem Hausarrest und Frischluft zu erhalten. Die Zahlen sind auch in Japan nicht gut, besser als in vielen anderen Ländern, aber die Entwicklung und damit die Auslastung der Krankenhäuser ist auch hier besorgniserregend. Von einem weiteren Lockdown spricht Premierminister Suga nicht, insgesamt bleiben Maßnahmen hier sehr verhalten. Wozu das führt, wird man dann in den nächsten Wochen an den Zahlen ablesen können. Wenn ich von Hausarrest spreche, meine ich also unsere generelle Tendenz so viel wie möglich zu Hause zu bleiben und wenn wir rausgehen, Massen zu vermeiden. Auf dem Spielplatz geht das zum Beispiel ganz gut kurz vor Dunkelheit oder zum Spaziergehen auch später, dann hat man auch in Tokio etwas mehr Platz und trotzdem frische Luft.
Mit vorangegangener Reservierung sind wir außerdem zum einen in den Yokohama Zoo gefahren, ein sehr großer und schöner Zoo raus aus der Stadt. Nachdem wir schon oft im Ueno Zoo in Tokio waren, aber auch dort dieses Jahr nur einmal, war das für uns alle ein schöner Tag im Grünen und besonders für den kleinen Buben eine mächtige Entdeckungsreise auf der Suche nach seinen Lieblingstieren (ok, es gab diesmal keinen Walhai wie in Okinawa, der hat es ihm auch sehr angetan).
Unser zweiter Ausflug war eine Überraschung zum Geburtstag des kleinen (nun ein wenig größeren) Buben. Die kleine Dame hat herrlich mit geplant und das Geheimnis stolz gewahrt. Er ist nämlich großer Doraemon-Fan. Doraemon ist ein blauer katzenartiger Roboter aus der Zukunft (!), der mit seinem Freund Nobita viele Abenteuer erlebt und seit mittlerweile über 50 Jahren fester Bestandteil japanischer Haushalte ist. Es gab also eine knallblaue Doraemon-Torte und einen Besuch im Fujiko F. Fujio- oder auch Doraemon-Museum in Kanagawa. Fujio ist der Zeichner der Comics und ihm zu Ehren gibt es in dem Museum viele Details zu Doraemons Entstehung zu sehen.
Doraemon!!
Als kleines vorgezogenes Weihnachtsgeschenk haben Benni und ich uns noch eine Kamera gekauft, um die vielen, beeindruckenden Motive auf unserem Japan-Abenteuer zwar immer noch laienhaft, aber nicht mehr nur mit dem Handy einzufangen. Also gibt es jetzt zwar keine Tokio-Weihnachtsbeleuchtung, aber ein bisschen von dem, was man hier wohl normale Alltagsbeleuchtung nennen muss:
Izakaya in Mita/Minato-kuRoppongi Hills / Minato-ku Ginza / Chūō-kuThai-Restaurant in Shibaura / Minato-ku
Rückzug in den Schnee
Den Großteil der Weihnachtszeit haben wir also mit ein paar Tricks und Unterstützung ganz erfolgreich in Tokio gemeistert. Es ist natürlich immer noch kein Vergleich zur gewohnten und geliebten deutschen Weihnachtszeit (wer es noch nicht festgestellt hat, ich bin großer und bekennender Fan), aber schön war es trotzdem. Als wir den Weihnachtsurlaub nach Deutschland schweren Herzens abgesagt hatten, mussten wir uns auch gleichzeitig entscheiden, wie und wo wir die Weihnachtsfeiertage in Japan verbringen wollten. Inlandsreisen waren und sind weiterhin möglich und zum Teil sogar gefördert in Japan. Als wir uns für Hokkaido und damit einen Urlaub im Schnee entschieden, war auch das Reisen in Deutschland noch problemlos möglich, es gab noch keinen Lockdown. Als wir uns dann aber schließlich in den Flieger setzten, sah das schon deutlich anders aus und wir waren trotz Weihnachtsheimweh einfach froh, dass wir diese Auszeit in den Bergen überhaupt nehmen konnten.
Hokkaido ist die nördliche der drei Hauptinseln Japans und ziemlich in der Mitte liegt das Winterwunderland Tomamu auf knapp 600 Metern und mit Skigebieten bis zu 1200 Metern. Unsere Hoffnung war, dass die kleine Dame hier ihren ersten Skikurs machen könnte und wir vielleicht mal abwechselnd oder wenigstens einer von uns beiden kurz Skiluft schnuppern könnte. Wir hatten uns mit dem Club Med für eine internationale Hotelkette entschieden, aber da es in Japan dieses Jahr keinen internationalen Tourismus gibt, haben wir nicht damit gerechnet, besonders viele internationale Gäste oder Angestellte zu sehen. Weit gefehlt. Gefühlt waren alle Gaijin des Landes, die ja genauso wenig wie wir nach Hause fliegen konnten oder wollten, in Tomamu zusammen gekommen und die Angestellten waren aus insgesamt 26 Nationen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich mich darüber mal so freuen könnte, aber es war schön, nach 1,5 Jahren in Tokio und einem Jahr ohne Auslandsaufenthalt mal nicht aufzufallen, nicht aus der Masse herauszustechen, nicht diskret angeschaut oder heimlich fotografiert zu werden oder einfach das deutliche Gefühl und Bewusstsein zu haben, anders zu sein. Das alles ist nichts, was uns im Alltag als besonders schlimm oder belastend begegnet. Japaner sind im Gegenteil in der Regel sehr rücksichtsvoll und achtsam. Aber wir fallen auf. Immer und überall. Und wenn man nie mal einfach in der Masse untertauchen kann, dann ist das manchmal auch etwas ermüdend. So gesehen hatten wir hier in Tomamu also einen Urlaubsort gefunden, an dem wir uns wirklich erholen konnten von unserem Alltag. Und der ist eben nicht immer so alltäglich.
Und nicht nur das war der Vorteil der Internationalität: die Kinderbetreuung und die damit verbundenen Angebote waren nicht nur großartig, sie waren eben auch international, ein Parkett, auf dem Bube und Dame sich mehr als sicher fühlen mittlerweile. Mit Begeisterung und einem hektischen Abschiedskuss für die staunenden Eltern stürzten sie sich in ihre jeweiligen Gruppen und ließen uns leicht verdattert zurück. Nachdem wir die erste Verwirrung und Ungläubigkeit abgelegt hatten, rannten wir fast zur Ausleihe für Skiausrüstung.
Endlich wieder Skifahren
Wir waren nicht mehr Ski gefahren seit Benni seine Promotion geschrieben hat und die Zeit dafür fehlte. In der darauffolgenden Saison war ich schon schwanger mit der kleinen Dame. Sieben Jahre ohne Skifahren. Eine Abfahrt in diesem unglaublichen dicken Pulverschnee Japans, wo die Skigebiete noch ohne Schneemaschinen auskommen, und wir haben gegrinst wie Honigkuchenpferde. Besonders Benni, der auch im Hotel noch gearbeitet hatte bis kurz vor Piste, weil es in Japan zwar Weihnachtskitsch aber keine Weihnachtsfeiertage gibt, rutschte mit jedem Meter auf der Abfahrt sichtlich mehr in die Urlaubsstimmung. Und ich, wohlwissend, dass die beiden Krachnasen hochzufrieden mit ihrem jeweiligen Unterhaltungsprogramm waren, gleich hinterher.
Wir hatten uns natürlich vorher gefragt, wie ein so großes Familienhotel die Schutzmaßnahmen gegen Corona umsetzen würde und wie es insgesamt funktionieren würde im Zusammenspiel mit den übrigen Gästen. Zunächst einmal galt natürlich im gesamten Hotel außerhalb der Zimmer Maskenpflicht, woran sich glücklicherweise alle hielten. Auch der kleine Bube trug mit seinen gerade drei Jahren anstandslos und vergnügt seine Maske und da wir nicht wirklich viel auf dem Zimmer waren, trugen wir mehr oder weniger nur zum Schlafen keine Maske. Zusätzlich war das Hotel nur zu knapp 30 Prozent belegt, so dass genug Abstand zu jeder Zeit möglich war. Dazu kam jede Menge Einsatz des gesamten Personals, das für reibungslose Abläufe sorgte. Nichts ist im Moment so sicher, wie zu Hause zu bleiben, wo es geht, aber wir haben uns zum Glück so sicher wie unter den Umständen möglich fühlen dürfen.
So wurden aus unseren unfreiwillig japanischen Weihnachten wirklich schöne Tage, die wir alle sehr sehr genossen haben. Umso mehr, weil uns bewusst ist, dass die Rückkehr in die größte Metropolregion der Erde inmitten einer Pandemie wieder mehr Sorgen, Vorsicht und Unsicherheit bedeuten.
Bleibt gesund, passt auf euch auf und habt einen schönen Start ins Neue Jahr!
Ich bin mit meiner Berichterstattung leider ordentlich ins Hintertreffen geraten und erhalte – zurecht – schon Nachrichten, was denn hier los ist. Zunächst einmal: lieben Dank für die Nachrichten, das Feedback und das Interesse an unseren Japan-Abenteuern! Ich freue mich über jede einzelne Rückmeldung sehr. Viele kleine Einblicke in unseren Alltag teile ich inzwischen auch regelmäßig auf Instagram (@simone_in_tokio) und freue mich auch hier über euch, wenn ihr Lust habt.
Mein letzter Beitrag aus dem Herbst steckte noch in der virtuellen Pipeline, daher reiche ich jetzt erst einmal diesen nach, bevor wir wieder in der winterlichen Gegenwart ankommen.
Unser Herbst hat hier in Japan mit angemessener japanischer Disziplin am 22. September mit einem Feiertag begonnen. Mit Disziplin, weil gefühlt selbst die Bäume wissen, was sich gehört und just an diesem Tag begonnen haben, die Blätter einzufärben. Der Herbst ist hier bis auf ein paar Regentage eine herrliche Jahreszeit. Es ist noch relativ warm, aber die Schwüle des Sommers ist verschwunden, die Luft ist klar und der Himmel oft geradezu unverschämt blau. Unsere aktuellen Corona-Zahlen erlauben uns noch einen verhältnismäßig normalen Alltag. Anlässlich meines Geburtstags letzte Woche haben wir uns sogar ein paar Tage nach Okinawa verkrümeln können. Ein großer Luxus inmitten einer Welt, in der Reisen alles andere als selbstverständlich sind.
Okinawa ist eine japanische Präfektur mit über 150 Inseln im Ostchinesischen Meer. Miyako-jima, wo wir im Juli waren, gehört auch zu Okinawa. Diesmal ging es auf die Hauptinsel. Die Sommersaison war gerade zu Ende gegangen, so dass die großen Massen ausblieben, wir uns aber immer noch über 22-26 Grad und Sonnenschein freuen konnten. Die Insel ist wunderschön Grün, was gerade im Vergleich zu Tokio eine angenehme Abwechslung war. Nach einem Tag am Strand und im Pool durfte ein Besuch im Okinawa Churaumi Aquarium nicht fehlen. Besonders die großen Walhaie und die Riff-Mantas waren sehr beeindruckend.
Am letzten Tag hatten wir noch Zeit für eine kleine Höhlenwanderung – die erste für den kleinen Buben und die zweite für die kleine Dame (bei der ersten auf Mallorca steckte si allerdings noch als Baby in der Trage und war mäßig begeistert von der merkwürdigen Umgebung). Beide Nachwuchshöhlenforscher schritten begeistert voran und erkundeten Stalagmiten und Stalagtiten.
Die kleine Dame vertreibt sich die Zeit mit Hiragana – hier gerade das japanische O
Staunen im Aquarium
In Japan ist die erste Frage, wenn man von einer Reise zurück kommt: „Wie war das Essen?“ Es war soo gut!
Höhlenabenteuer
Raus aus der Stadt
Jungle LoveMeine Mama hat immer gesagt, 40 sei ihr Lieblingsalter gewesen. Auf dich, Mama!
Okinawa hat übrigens kleine Wächter: die Shīsā. Sie sehen ein bisschen wie eine Kreuzung aus Löwe und Hund aus und sitzen in Pärchen an Eingängen und auf Hausdächern. Der linke Shīsā hat seinen Mund geschlossen und hält das Gute im Haus, der rechte Wächter hat seinen Mund geöffnet und vertreibt die bösen Geister.
Der kleine Bube stellt sicher, dass auch wirklich alles Böse raus ist.
Stadtleben
In Tokio sind wir dankbar um jede Woche, die relativ normal machbar ist. Aktuell ist auch hier eine dritte Welle deutlich zu erkennen, wir warten noch ab, ob es Änderungen geben wird.
Der Kindergarten organisiert mit viel Umsicht und Aufwand so viele Events aus den letzten Jahren wie in Zeiten von Corona noch möglich sind. Eines davon war Potatoe Digging auf einer Farm. Hier konnten die größeren Stadtkinder sich mal die Hände schmutzig machen und auf einer Süßkartoffelfarm Kartoffeln ernten. Die kleine Dame hatte einen Riesenspaß und brachte stolz ihre Beute mit nach Hause. Um sich dann plötzlich daran zu erinnern, dass sie ja eigentlich gar keine Süßkartoffeln mag. Wir haben dann Süskartoffelchips daraus gemacht, Chips gehen offenbar immer.
Feldarbeit macht müde. Später war dann aber noch genug Energie für die Chips übrig.
Halloween konnten wir in abgewandelter und reduzierter Form auch wieder feiern und da man in Japan und in der internationalen Schule umsonst nach einem Faschingsfest sucht, ist es als einzige Chance, sich zu verkleiden, sehr willkommen. So machten sich der kleine Buzz Lightyear und Jessy (beide Toy Story) völlig im Glück auf den Weg zum Spielplatz, wo es kleine Trick or Treat-Beutel gab. Und ein Schmetterling war auch dabei…
Halloweeeeen!
Mal wieder ein bisschen Aussicht
Nachdem wir in unserem ersten Jahr hier so ziemlich jede Aussichtsmöglichkeit genutzt haben, die wir gefunden haben, gab es erstmal eine lange Pause. Neulich war es dann aber mal wieder Zeit und wir sind mit dem Daikanransha auf Odaiba gefahren. Das bunte Riesenrad kannten wir schon, aber noch nicht im Dunkeln. Drei von uns waren hingerissen – der kleine Bube muss im letzten Jahr eine ordentliche Skepsis vor Höhen entwickelt haben (trotz Wohnung im 37. Stock). Er wäre lieber gleich wieder runter gefahren, hat aber auf Bennis Schoß und mit sparsamem Gesichtsausdruck tapfer durchgehalten.
Fuji-san wünscht aus der Ferne eine gute Nacht
Meine Zeit
November war ja schon immer mein liebster Monat und Herbst meine Jahreszeit. In Deutschland ist das immer schwer zu erklären mit vielen Regen- und Nebeltagen. In Tokio ist der November hingegen schlicht perfekt: fast durchweg strahlender Sonnenschein bei um die 16 Grad und klarem, blauen Himmel zusammen mit bunten Blättern. Wenn unbeschwertes Reisen irgendwann wieder möglich ist, und jemand von euch mit dem Gedanken spielt, Tokio zu besuchen (was ich ohnehin und ohne jedes Zögern dringend empfehle): kommt im November!
Ich habe den strahlend schönen Sonnenschein genutzt, um ein paar Ausflüge zu machen, die ich schon lange auf meiner Wunschliste hatte.
Die beste Aussicht, die ich beim Yoga je hatte
Lächeln und winken
Es gibt sehr viele Tempel und Schreine in Tokio, manchmal nur ganz kleine, fast unscheinbar zwischen zwei Häuser gequetscht. Einer der größeren und sehr bekannten ist der buddhistische Gōtoku-ji in Setagaya. Besser bekannt als „Maneki Neko“- oder „Winkekatzen“-Schrein, gehen verschiedene Gründungsgeschichten zurück auf die Legende der Tempelkatze Tama, die wahlweise einem Fürst das Leben gerettet hat, indem sie ihm während eines Gewitters zugewunken hat und er deshalb seine Deckung unter einem Baum rechtzeitig vor dem folgenden Blitzeinschlag verließ, oder die eine Reisegruppe einflussreicher Herrschaften durch ihr Winken zu dem Tempel brachte. In jedem Fall waren Unterstützung und Reichtum für den Tempel die Folge der Begegnung mit Tama, so dass sie heute noch als Glücksbringer verehrt wird. Auf dem wunderschönen Gelände des Gōtoku-ji sind Tausende Maneki Nekos in allen Größen aufgestellt, die Besucher mit Wünschen ausgestattet zurückgelassen haben. Ein wirklich beeindruckender Anblick.
Viele kleine Wunscherfüller an der Arbeit
Weitläufige Tempelanlage
Ein weiterer Schrein stand auch auf meiner Liste: der Nezu-jinja, der besonders für seine roten Torī vor dem Otome-Inari-jinja auf dem Gelände bekannt ist. Die meisten Bilder, die man von roten Torī in Japan sieht, stammen aus dem berühmten Fushimi Inari-taisha in Kyōto. Die des Nezu-jinja sind kleiner und nicht ganz so geläufig, aber einen Besuch mehr als wert.
Torī markieren den Übergang des Profanen zum Heiligen und stehen an vielen Eingängen zu Schreinen. Oft ist es nur ein Tor und nicht immer sind sie rot, aber ohne Frage sind sie am beeindruckendsten, wenn sie als ganzer strahlend roter Gang zum Schrein hinführen.
Nach einer sehr langen Regenzeit, sind wir inzwischen voll im Tokioter Sommer angekommen. Für uns das erste Mal eine schon bekannte Jahreszeit, nun sind wir schon über ein Jahr in Japan.
So richtig eingestiegen in den Sommer sind wir auf Miyako-jima, einer kleinen japanischen Insel der Okinawa-Gruppe, irgendwo mitten im Wasser zwischen Japan und Taiwan.
Urlaub im Nirgendwo
Miyako-jima war unser Corona-Ersatzziel, da wir als nicht-japanische Einwohner Japans nach wie vor von dem sehr strikten Wiedereinreiseverbot betroffen sind, das seit Anfang April angewendet wird und jedes Reisen, abgesehen von zugrunde liegenden humanitären Notfällen, unmöglich macht. So sehr ich das Einreiseverbot für in Japan lebende Ausländer auch ablehne und im Vergleich zur freien Reisemöglichkeit jedes japanischen Staatsbürgers schlicht als diskriminierend empfinde, für eine Urlaubsreise in Corona-Zeiten finde ich es völlig angemessen, sich auf Reisen innerhalb des Landes zu beschränken. Und wenn dieses Land Japan ist, kann nicht wirklich von einer Beschränkung die Rede sein. Von Modern bis Traditionell, Stadt und Land, Berge und Meer, Japan hat so viel zu bieten, dass es nicht schwer fällt, ein Urlaubsziel zu finden – höchstens weil es zu viele Optionen gibt. Da wir mit Tokio als Wohnort eher nach Ruhe und Entspannung gesucht haben und ursprünglich ohnehin gerne ans Meer wollten, fiel die Entscheidung schließlich auf Miyako-jima und eine kleine Hotelanlage mit einzelnen Bungalows an der Südküste der Insel. Anders als ich es auf den Bildern aus deutschen Urlaubsorten gesehen habe, war Miyako nicht überfüllt, ganz im Gegenteil: durch den fehlenden internationalen Tourismus und kurz vor der Hauptreisesaison in Japan war die Insel sehr ruhig und wir vermutlich die einzige nicht-japanische Familie weit und breit.
Fotografieren auf Japanisch
Wir sind es ja wirklich schon gewöhnt heimlich oder offen angestarrt zu werden, aber auf dieser beschaulichen Insel, haben wir hier nochmal ein neues Level erreicht. Was ich schon in Tokio gelernt habe, sich aber in Miyako nochmal bestätigte: In Japan gibt es ein paar Meister der sneaky pictures. Während das ungefragte Fotografieren von Fremden hier eigentlich sogar verboten ist, wird es dennoch sehr gerne praktiziert – besonders an uns, wie mir scheint. Aber, weil es ja zum einen verboten ist, und wahrscheinlich auch jedem klar ist, dass das Fotomotiv vielleicht nicht unbedingt einverstanden, ungefragt fotografiert zu werden, wird es eben heimlich gemacht. Da es ja nun aber immer noch nötig ist, das Handy so in Position zu bringen, dass die Linse uns auch einfängt, ist es dann auch nicht immer so heimlich. Zum Beispiel, wenn eine Frau mit erhobenem Handy so schnell und unauffällig wie möglich an uns vorbei geht und schnell auf den Auslöser drückt. Super. Ich versuche, dabei meinen Humor zu behalten und es zu ignorieren, aber ich verstehe ein bisschen mehr, wie schrecklich dieses Verhalten für Promis sein muss. Und in Japan hat das heimliche Fotografieren noch einen unschönen Beigeschmack: gerade das ungewollte Fotografieren von Frauen, besonders das Upskirting, ist dermaßen zur gängigen Praxis geworden, dass man in Japan erworbene Handys nur mit hörbarem Shutter Sound bekommt. Man kann also das Auslöser-Geräusch beim Fotografieren nicht ohne weiteres deaktivieren. Hmm.
Deutsches Dorf und Nemos Freunde
Ungeachtet der fragwürdigen Hobby-Fotografen, hatten wir uns auf ein paar Tage Strandurlaub gefreut und wurden nicht enttäuscht. Miyako-jima hat nicht nur wunderschöne weiße Sandstrände und türkisblaues Wasser sondern auch unzählige Korallenbänke in direkter Strandnähe, so dass auch kleine Nachwuchsschnorchler die Chance hatten, einen vorsichtigen Blick zu riskieren. Und dann auch noch Anemonenfische, also lauter kleine Nemos, in Aktion zu sehen, rief große Begeisterung hervor.
StrandzeitErkundungstourStrandgutGroßer SandkastenUnterwasser-EntdeckerRush Hour bei den FischenAnemone mit BewohnernKeine Tattoos am Pool…Fantastisch verpflegt
Aber Miyako-jima hatte für uns ドイツじん, also Deutsche, noch eine besondere Überraschung parat: das Deutsche Kulturdorf!!! Nachdem 1873 ein Schiff mit deutscher Besatzung auf einem Riff vor Miyako-jima strandete und acht Seeleute gerettet werden konnten, bedankte sich Kaiser Wilhelm I mit einer Gedenkstele, die noch heute ausgestellt ist. 1995 wurde zurückgehend auf diese Vorgeschichte der deutsche Themenpark erbaut. Bestaunen kann der geneigte Insel-Tourist hier neben einem Kinderhaus – dessen Bedeutung sich uns nicht recht erschlossen hat, zudem es neben Diddl-Mäusen Originalstücke der Berliner Mauer beherbergt – und einem Palais im Stil des 18. Jahrhunderts eine Nachbildung der Marksburg am Rhein besichtigen. Eigentlich war der Plan, das Original zu kaufen, in Deutschland abzubauen und auf Miyako wieder zu errichten, was nicht zustande kam. So bietet sich mit der japanischen Kopie heute der wirklich interessante und gerade für unsere Augen ungewöhnliche Anblick einer typisch deutschen Burg umgeben von einem postkartenwürdigen Südsee-Panorama. Richtig abenteuerlich wurde es für uns dann noch in der Burg, die ein Museum für…naja, Deutschland ist und unter anderem die deutsche Lebensweise präsentieren soll. Falls noch nicht bekannt: wir sind einfach alle Bayern.
Echt jetzt?Eine deutsche Burg direkt am MeerPalais gefällig?Und so sahen Bube und Dame ihr erstes Stück der Berliner Mauer auf Miyako-jima…Deutsch für (japanische) AnfängerOha…aufgepasstZünftig!Selbst die kleine Dame fragt sich, warum die so komisch aussehen.Bestimmt praktisch so ein Raum für einen Rest
Neben der Besichtigung deutscher Kultur und Lebensweise haben wir aber die meiste Zeit an unserem kleinen Strand verbracht und wahlweise Korallen, Fische, Krebse oder japanische Lebensweise, genauer das Badeverhalten bestaunt. Wenngleich mir hier fast ein eigenes sneaky picture zur Illustration fehlt, beschränke ich mich auf eine kurze Beschreibung des für uns wenig nachvollziehbaren Treibens um uns herum. Während wir in Badeanzügen und -hosen, bisweilen allenfalls noch mit UV-Oberbekleidung gegen die intensivsten Sonnenstunden auf unseren Handtüchern am Strand saßen, Korallen sammelten oder uns im Wasser rumtrieben, um dann je nach Laune und Tageszeit nach ein bis drei Stunden mal wieder den Rückzug anzutreten, sah das bei unseren Mit-Touristen völlig anders aus. Hier ging man nur an den Strand, wenn man ins Wasser wollte, um danach postwendend wieder jeglichem Sonnenlicht zu entfliehen. Statt Badebekleidung wie wir sie kennen, trug man in der Regel: lange Leggins, darüber eine Badeshorts, Longsleeve oft mit (aufgesetzter) Kapuze plus Sonnenhut mit Riesenkrempe. Auch wenn wir aus Tokio schon gewöhnt sind, dass Japaner und Sonne offenbar keine Freunde sind – Sonnenschirme, lange Sleeves für die Arme und besagte Sonnenhüte – das hatten wir dann doch nicht erwartet. Ganz offenbar ist Strandurlaub überhaupt nicht gleich Strandurlaub.
Vertrauter Klang
Wieder zurück zu Hause, war dann auch in Tokio der Sommer angekommen und mit ihm auch unsere geräuschvollen Freunde vom letzten Jahr: die Zikaden. Was sich beim ersten Mal noch ungewohnt und merkwürdig angehört hat, ist jetzt vertraut und wir haben uns alle gefreut, die Krachmacher wieder zu treffen. Auch die Lautsprecherwarnungen vor Hitzeschlag gibt es wieder, die einen daran erinnern sollen, ausreichend zu trinken, sich nicht zu überanstrengen und nicht lange in der Sonne zu bleiben – bei Temperaturen zwischen 34 und 37 Grad und einer Luftfeuchtigkeit von 60-80%, nicht von der Hand zu weisen.
Zum Glück gibt es die vielen Wasserparks auf Tokios Spielplätzen, die nun wieder in Betrieb sind und die wir gerne nutzen. Währen wir uns ein Plätzchen im Schatten suchen und zuschauen, jagen Bube und Dame durch Wasserbecken und -fontänen. Win-Win.
Auf dem Weg zum SpielplatzEin Spielplatz voller Dinos – der kleine Bube kann sein Glück kaum fassenWasser marsch!Endlich bekommen die Pinguine auch mal Wasser zu sehen……und viele Kinder!Egal in welcher Form, Wasser ist gerade immer willkommenEntspannter Zuschauer auf dem Trockenen
Ohne Fleiß kein Preis
Seit Montag hat für die Kinder das neue Kindergartenjahr begonnen und aufgrund der schon vor den Ferien eingeführten und damit gewohnten Maßnahmen zum Schutz vor Corona, war es ein entspannter Start für Bube und Dame, die sich sehr auf ihre Freunde und Lehrer gefreut haben.
Während der Ferienwochen konnte ich dank Benni, der im Homeoffice ein bisschen Kinderbeaufsichtigung einschieben konnte, meine Sprachkurse fortsetzen. Der Intensivkurs ging mit einer Lern-Expedition durch Azabu-jūban zu Ende. Mit sensei Abe-san besuchten wir zunächst den Jūban Inari-jinja Schrein. Dieser Shintō-Schrein beherbergt zum einen Abbildungen des Schatzschiffes der sieben Götter, ein Zeichen für viel Glück und eine Statue von Kaeru-san, Herrn Frosch, der Glück und verlorene Gegenstände zurückbringen kann und für eine sichere Heimkehr steht. Abe-san hat uns gezeigt, wie in Shintō-Schreinen gebetet wird und uns die Bedeutung der Ema erklärt, Holzplatten, die an den Schreinen gekauft und mit Wünschen beschrieben werden können. Anschließend gibt man sie am Schrein ab und sie werden aufgehängt in die nächsten Gebete mit eingeschlossen.
Aufgang zum Inari-jinja Schrein – bitte immer schön rechts oder links halten, die Mitte ist für die GötterDie Ema des Schreins mit dem Glück bringenden Schatz-SchiffKaeru-san – Herr Frosch – bringt Glück und verlorene Gegenstände zurück
Unsere bis dahin erlernten sprachlichen Fähigkeiten konnten wir dann noch an verschiedenen Aufgaben in Azabu testen. Wir sollten in einer kleinen Donutbäckerei eine Bestellung für das Team der Sprachschule aufgeben, die wir vorher telefonisch erfragen mussten. Mit vielen Knoten im Hirn und laaaaaangsamen Sätzen konnten wir unseren Auftrag erfolgreich ausführen. Danach ging es zu einem der zahlreichen 100¥-Shops, der japanischen Entsprechung der 1€-Läden, nur meist sehr viel nützlicher und mit einem besseren Angebot. Die Aufgabe war ein Paar Stäbchen zu kaufen, mit denen wir später zurück in der Sprachschule in einem Bohnen-Aufsammelwettbewerb gegeneinander antreten durften.
Letzte Station der Expedition war die Statue von Kimi-chan oder dem „Mädchen mit den roten Schuhen“, wovon es insgesamt acht in Japan und eine in San Diego gibt. In einem alten japanischen Kinderlied (Akai Kutsu = rote Schuhe) erinnert sich eine Mutter an ihre Tochter, die mit Ausländern das Land verlassen hat. Das Lied hat eine wahre Geschichte als Ursprung, jedoch wurde das Mädchen den Überlieferungen zufolge von amerikanischen Missionaren adoptiert und sollte mit ihnen in die USA zurückkehren. Vor der Abfahrt erkrankte Kimi-chan jedoch an der damals unheilbaren Tuberkulose und wurde in ein Waisenhaus in Azabu-jūban gebracht, in dem es schließlich starb. Das Waisenhaus stand an der Stelle, an der sich heute der Inari-jinja Schrein befindet.
Auch Kimi-chan trägt Maske
Nach viel Übung und Erkundungstour ging der erste Sprachkurs zu Ende. Mittlerweile bin ich fast mit dem zweiten fertig, wir schreiben und lesen nicht mehr in Romaji sondern ausschließlich in Hiragana und Katakana und haben mit den ersten Kanji begonnen. Stück für Stück werden die Satzstrukturen und das Vokabular dichter und komplizierter. Auf der Straße und in Geschäften feiere ich jedes Wort, das ich verstehe und sagen oder lesen kann.
Kanji, also die komplexeste Schriftform, bringt mich nach wie vor an meine Grenzen. Sowohl aufgrund der entmutigenden Tatsache, dass es davon mehrere Tausend gibt als auch wegen der sehr komplizierten kontextabhängigen Lesart jedes Einzelnen. Ein Kanji hat meist mehrere verschiedene Lesarten, sowohl sinojapanische, zurückgehend auf die chinesische Lesart des Zeichens (kurz on-Lesart) und japanische (kun-Lesart) und hat dabei meist je mehrere in on oder kun. Für eine Bedeutung kann ein Kanji hierbei manchmal für sich alleine stehen, für andere braucht es weitere Kana-Ergänzungen. Ganz abgesehen davon besteht ein Kanji meist aus vielen Strichen und Bögen, die es zusätzlich schwierig machen, es zu lernen. Es gibt noch viel zu tun…
Hausaufgaben
Wenn wir uns nicht gerade in der Schule oder auf Wasserspielplätzen rumtreiben, versuchen wir wieder vorsichtig die zahlreichen Unterhaltungsangebote und Entdeckungstouren Tokios zu nutzen. So zum Beispiel das Tokyo Trick Art Museum. Vor Motiven aus Japans Geschichte und Legenden konnten wir nach Herzenslust posen und die richtige Stelle für die perfekte optische Täuschung suchen.
Insgesamt ist es immer noch schwierig, Museen, Ausstellungen oder andere Einrichtungen zu besuchen, die sich alle sehr viel Mühe geben, die Schutzmaßnahmen vor Corona umzusetzen. In den meisten Fällen ist eine Online-Registrierung je nach Einrichtung zum Teil Wochen im Voraus erforderlich und nicht immer gibt es dazu englische Versionen. Langweilig wird es trotzdem nie, so dass wir mit den Corona-Auflagen insgesamt gut zurecht kommen.
Ab September werden nun endlich auch alle ausländischen Einwohner mit Auflagen wieder nach Japan zurück kehren dürfen, der Einreisebann hat nach fünf Monaten ein Ende. Auch wenn es noch viele offene Fragen gibt, etwa zu der Art der Tests, die man dafür vor und nach dem Flug machen lassen muss, besteht für uns dann grundsätzlich wieder die Möglichkeit nach Deutschland auszureisen und danach wieder an unseren Wohnort zurückkehren zu können. Den Schaden, den diese klare Ungleichbehandlung von japanischen und nicht-japanischen Einwohnern über Monate für internationale Unternehmen und hier lebende Ausländer angerichtet hat, wird noch langfristige Folgen haben. Viele Ausländer, die nicht zurückkehren konnten, haben ihre Wohnung und ihren Arbeitsplatz hier verloren, viele werden nicht mehr zurückkehren, andere, die geplant hatten, nach Japan zu kommen, werden ihre Entscheidung noch einmal überdenken und ein Teil derer, die noch hier sind, werden nicht länger bleiben wollen. Corona hat vieles verändert, aber der Umgang damit macht in vielen verschiedenen Aspekten den Unterschied.
So langsam fühlt sich dieses merkwürdige Zwischenstadium nach dem Lockdown und vor einem Ende der Corona-Krise halbwegs gewohnt an.
Der Schulalltag für die Kinder funktioniert sehr gut und sie genießen es, mit ihren Freunden und Lehrern zusammen zu sein und jede mögliche Minute draußen zu verbringen. Die kleine Dame geht mit ihrer Klasse jeden Tag mindestens einmal in den Park, der kleine Bube setzt mit seiner Gruppe und viel Hingabe den Innenhof der Schule mit dem Gartenschlauch unter Wasser. Und sich.
Benni arbeitet die meiste Zeit nach wie vor zu Hause, jetzt aber deutlich entspannter und ungestörter.
Und ich, ich gehe auch wieder in die Schule. Ich mache endlich meinen lange gebuchten und erwarteten Intensivsprachkurs. Vier Tage die Woche habe ich zwei Stunden Unterricht und weil es in der Klasse neben mir nur einen weiteren Wahnsinnigen gibt, haben wir quasi Privatunterricht, was wirklich effizient ist. Das und die Tatsache, dass wir jeden Tag nicht nur Hausaufgaben machen müssen sondern auch noch einen Test schreiben. Wir haben zwei Japanischlehrerinnen, eine für einen der vier Tage, die andere für die drei übrigen.
Nummer 1 ist die sehr entspannte, humorvolle Emiko-san, die in ihrem vergangenen Leben schon Tauchlehrerin auf den Fidschi-Inseln und Sprachlehrerin in der Slowakei war. Abe-san ist die Lehrerin, mit der wir am meisten Zeit verbringen und die ich nur Sensei nenne, wenn ich Benni von ihr erzähle. Sensei heißt Lehrer auf Japanisch und Abe-san hat sehr viel von meiner Vorstellung einer japanischen Lehrerin. Sie ist streng, fokussiert und überrascht gerne mit Sätzen wie „Oh, I don‘t know this comedian, I do not have a television“, „I don‘t drink!“, beides sehr energisch ausgesprochen oder „How do you manage to find your way with the trains, yesterday I had to travel to Ōsaki and I got completely lost. I come from the countryside, I get confused here.“ Dazu muss man sagen, Ōsaki ist drei Stationen von meiner Station entfernt, also super zentral und leicht zu finden. Sensei ist speziell, aber nicht auf eine negative Art. Ich lerne viel von ihr und habe sie gerne als Lehrerin, sie ist nur völlig anders als Emiko-san. Emiko ist übrigens ein Vorname und Abe ein Nachname, also schon in der Ansprache beginnen die Unterschiede.
Schulbank
Auch die Korrektur kann kawaii – Bärchen sagt, das habe ich gut gemacht
Naja, jedenfalls bin ich jetzt wieder Schülerin und muss echt ackern. Da ich den ersten Intensivkurs übersprungen habe, weil ich ja schon eine Weile Japanisch lerne, wird Hiragana, das erste der beiden „einfachen“ Schriftsysteme schon vorausgesetzt, gerne aber abgefragt. Zusätzlich lernen wir jetzt Katakana, also das Zeichensystem, mit dem vor allem Fremdwörter oder ausländische Namen geschrieben werden.
Ein neuer Name
Das Schöne ist, im Japanischen werden auch die Fremdwörter nicht einfach übernommen, sondern so umgelautet, dass sie zwar ausgesprochen ähnlich klingen wie das Original, aber in unsere Augen abenteuerlich geschrieben aussehen (wenn man sie in Romaji, also unser Schriftsystem, überträgt). Beispiel gefällig? Der Sky Tree, ein wichtiges Wahrzeichen der Stadt, heißt スカイツリー (sukaitsurī – bitte laut aussprechen…).
Die größte Offenbarung für mich aber ist mein Name! Als ich nach Japan kam, wurde mir mein Name wie folgt aufgeschrieben: シモネ (shimone, weil es interessanterweise zwar die Laute sa, se, so und su gibt, nicht aber si, das wird automatisch zu shi). So heiße ich also schon seit elf Monaten Shimone. Man gewöhnt sich an alles. Bis Sensei mal richtig hinhörte und feststellte, dass ich meinen Namen anders ausspreche. Und, Überraschung, weil Katakana ja für fremde Wörter gemacht wurde, gibt es auch Zusatzlaute, die mit ein paar Hilfszeichen gebildet werden, so auch ein ズィ(zui = zi = ausgesprochen als unser si). Hier wird ein großes zu von einem kleinen i begleitet und damit ein neuer Laut gebildet. Ich heiße also gar nicht シモネ, ich heiße ズィモネ. Ich bin entzückt!
Pikachu gratuliert
Entzückt war auch die kleine Dame, als sie dieser Tage ihren heiß ersehnten fünften Geburtstag feiern durfte. Dank Corona gab es zwar keinen Kindergeburtstag mit ihren Freunden am Nachmittag, aber wir haben uns aus den bereits geöffneten Möglichkeiten etwas anderes ausgesucht. Nach großem Geburtstagsfrühstück und anschließendem Ehrentag im Kindergarten ging es gleich weiter nach Nihonbashi ins Pokémon-Café. In Japan sind Themen-Cafés sehr beliebt und neben Tieren in Pet-Cafés vor allen Dingen Serienfiguren gewidmet. Um Pokémon kommt man in Tokio kaum herum, so kannten die kleine Dame und der Bube Pikachu und seine Freunde gut genug, um tellergroße Augen zu bekommen beim Anblick des bunten Cafés. Wie es sich für ein echtes Themen-Café gehört, waren auch das Essen und die Getränke quietschebunt. Zur Feier des Tages durften eine Pikachu- und eine Hitokage-Tasse mit nach Hause, aus denen seitdem andächtig Tee und Kakao getrunken wird.
Die Dame des Tages
Die Geburtstagsgäste
Die Verpflegung
Noch mehr Verpflegung
Jeder hat sich fein gemacht
Ein Stück Pokémon-Café für zu Hause
So sieht Social-Distancing übrigens im Pokémon-Café aus:
Niedliche Platzhalter
Tsyuyu
Wir können theoretisch also wieder rausgehen. Sonne genießen und so. Ging auch kurz gut und war fantastisch, dann kam tsuyu, die Regenzeit. Etwa einen Monat lang regnet es jetzt fast jeden Tag, mehr oder weniger ununterbrochen. Und das bei Temperaturen zwischen 20 und 27 Grad, Dampfsauna pur. Letztes Jahr sind wir in den letzten Tagen der Regenzeit angekommen, ab hier kennen wir uns also quasi aus klimatisch.
Große kleine Regenfans
Begeisterung in Grenzen
Die Kinder sind gut ausgerüstet mit Regenjacke , Gummistiefeln und stecken auf dem Weg zum Bus trocken unter den Regenabdeckungen der Kindersitze. Ich versuche mit Regenjacke oder -poncho und Gummistiefeln, aber eben ohne Sitzabdeckung das meiste abzuhalten, was so leidlich gelingt auf dem Rad. Für eine Regenhose ist es mir dann aber wirklich zu warm, dann werde ich lieber vom Regen nass, als vom Schweiß. Das kommt noch früh genug wieder.
Durch die Massen an Menschen zu navigieren – ohnehin schon eine Herausforderung – wird durch die Regenschirmthematik auf die Spitze getrieben. Ich fühle mich bisweilen wie in einem alten Jump‘n‘Run Spiel, wenn ich den bunten Kreisen ausweiche, die vor mir oder gerne auch urplötzlich von der Seite auftauchen.
Die Kanji für Regenzeit setzen sich übrigens aus Regen und…es darf gerne geraten werden…einer Pflaume zusammen! Niemand? Wenn noch jemand daran gezweifelt hat, wie schwer die japanische Schrift inklusive der bedeutungstragenden Kanji ist, der Pflaumenregen ist ein schönes Beispiel. Klar, wenn Pflaumenzeit ist und es zusätzlich noch regnet, ist Regenzeit. Easy.
Pflaumenzeit
Auf Rüsselsuche
Sonntag hat Tsuyu mal eine Pause eingelegt und wir gleich mit. Wir haben das schöne Wetter genutzt, um Tokio mal kurz den Rücken zu kehren und sind ins benachbarte Yokohama gefahren.
Yokohama ist nach Einwohnerzahl die zweitgrößte Stadt Japans und Hauptstadt der Präfektur Kanagawa. Nur eine halbe Stunde Bahnfahrt entfernt und Standort der Deutschen Schule, ist es zudem ein beliebter Wohnort für Deutsche, die in Tokio oder Umgebung arbeiten.
Wir haben unseren Tag in China Town beginnen lassen, das größte Mini-China in Japan, und haben uns den Rest des Tages am Wasser rumgetrieben. Yokohama hat eine wirklich schöne Promenade. Das historische Fracht- und Passagierfest Hikawa Maru haben wir uns für den nächsten Besuch aufgehoben, da der Bube exakt davor in seinen Mittagsschlaf entschwunden ist.
Der Yamashita Park direkt an der Promenade war dann ein zu guter Platz für ein Picknick. Im Land der Konbinis ist es auch kein Hindernis, wenn man einfach nichts picknickartiges eingepackt hat: große Plane als Picknickdecke inklusive Heringe zum Festmachen für umgerechnet weniger als 3€, eine umfangreiche Auswahl an Sandwiches, Reisbällchen, Joghurts, Knabbersachen, kalten und warmen Getränken etc. – alles vorrätig für eine Pause.
Weiter am Wasser entlang sind wir bis zum Zō no hana Park gekommen. Zō ist der Elefant und hana ist die Nase, also im Wesentlichen Elefantenrüsselpark. Ursprünglich gab es an dieser Stelle des Ufers Dammkonstruktionen, die Elefantenrüsseln ähnelten, die heute allerdings nicht mehr da sind. Leider ist auch die große neuere Elefantenrüsselstatue, die wir gesucht hatten, nicht mehr da. Der Park verliert also scheinbar ganz gerne mal seine Nasen.
Nach einem Tag mit strahlendem Sonnenschein, kündigten sich im Nasenpark dann wieder die dunklen Wolken der Pflaumenzeit an, also ließen wir es für unseren ersten Yokohama-Trip dann mal gut sein.
Reiselust
Tor zu China
Zuckererdbeeren
New normal?
Die Hikawa Maru
Auslauf an der Promenade
Konbini geht immer
Doch noch ein Elefantenrüssel
Straßenstreuner
Ich wurde neulich gefragt, wie es wohl jenseits der ausgewählten Bilder so in Tokio aussieht.
Ich habe mich schon so an die Stadt und ihr Erscheinungsbild gewöhnt, dass ich erst einmal überlegen musste, ob es so anders als in Deutschland ist. Ich empfinde es ja abseits der bunten Vierteln wie Shinjuku oder Roppongi als erfrischend normal und unaufgeregt und habe zum Abschluss mal ein paar ganz alltägliche Straßenbilder von meinen Wegen angehängt.
Hier hält der Schulbus
Der Tokyo Tower ist allgegenwärtig in Minato-ku
Restaurant in Azabu-Jūban
Gemütliche Einkaufsstraßen von Azabu
Seitenstraße in Ginza
Die Fußgängerampeln zeigen rote/grüne Punkte an und zählen runter bis sie die Farbe wechseln, bei z.T. sehr großen Straßen eine echte Hilfe zum Einschätzen, ob man es wohl noch schaffen könnte
Fahrrad
Fahrradparkhaus in Azabu-Jūban, wild parken ist verboten, Räder werden abgeschleppt
Das Rad kommt in Fahrradständer mit Schloss, die automatisch verriegeln…
..und erst wieder entsperren, wenn am Parkautomat bezahlt wurde
Autos
Parkraum für Autos ist knapp
Platz zum Abbiegen auch, dafür gibt es Drehscheiben, die das Auto in die richtige Position zum Ein- und Ausfahren bringen
Straßen werden gerne gestapelt
Unter einem Straßenstapel
Bahn
Ticket Gates
Viele Bahnsteige sind sehr gut mit Absperrungen gesichert
Die japanische Regierung hat letzte Woche Montag kinkū jitai sengen no kaijo bekannt gegeben, die offizielle Aufhebung des Notstands, dann auch für die letzten verbleibenden Präfekturen inklusive Tokio.
Wie andere Länder auch, zieht Japan anlässlich der Lockerungen Bilanz: 17.000 registrierte Fälle von Infektionen und 850 Todesfälle. Es ist kein Geheimnis, dass ungeachtet zahlreicher Empfehlungen und Warnungen japanischer und internationaler Experten vergleichsweise wenige Tests durchgeführt wurden und werden. Wie aussagekräftig also die erste Zahl ist, sei dahingestellt. Allerdings spricht die im weltweiten Vergleich geringe Zahl an Todesfällen sehr dafür, dass Japan entweder sehr viel Glück hatte oder sehr viel richtig gemacht hat hat. Oder beides.
Als einflussreiche Faktoren für diese Entwicklung werden immer wieder das Gesundheitssystem, die effektive Lokalisierung von Clustern im Anfangszeitraum und die allgemeine Neigung der Japaner zu einem gesunden Lebensstil genannt.
Die Maßnahmen des Lockdowns waren zwar nicht gesetzlich bindend, haben aber dennoch zu einem deutlichen Rückgang der Besucherströme in Restaurants, Cafés, öffentlichen Anlagen, Büros und in der Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs geführt. Auch, was die unkomplizierte und bereitwillige Nutzung von Masken angeht, sind sich immer mehr Experten einig, dass dieser Umstand Japan im Kampf gegen Corona bisher sehr geholfen hat.
Die japanische Regierung hat sich zur Bewertung vor Aufhebung des Notstands für ein 3-Kriterien-System entschieden, dass die einzelnen Präfekturen erfüllen mussten: ein Verhältnis von Neuinfektionen pro Woche von weniger als 0,5 pro 100.000 Personen, die Stabilität des Gesundheitssystems unter Einbeziehung von verfügbaren Krankenhausbetten und Anzahl der Personen mit schweren Symptomen sowie die Fähigkeit Infektionen zu überwachen, z.B. durch Testverfahren.
„The Japanese model has demonstrated its strenght“, fasst Premieminister Abe zusammen.
Übrigens eine völlig andere Wortwahl, als die von Jens Spahn in einem Artikel in der Japan Times: „[…] it makes us humble, rather than overconfident“ sagt er in Bezug auf Deutschlands Sicht auf den – von der internationalen Presse wiederholt gelobten – Umgang mit dem Virus.
Blick von außen
Mal ganz abgesehen von der Corona-Krise ist es für mich hier am anderen Ende der Welt sehr aufschlussreich über die Geschehnisse in Deutschland auch mal aus internationaler Sicht zu lesen. Klar hätte ich das auch früher haben können, ich habe die internationalen Medien aber nie oder wenn, nur zufällig, genutzt, um mich über deutsche Zusammenhänge zu informieren. Und aktuell, ganz speziell im Falle einer so großen weltweiten Krise, ist es neben der deutschen Berichterstattung, mit all ihren Facetten und oftmals ermüdenden Details wie dem Unmut der Deutschen Masken zu tragen oder Massendemonstrationen gegen Corona-Maßnahmen, auch einfach mal schön zu lesen, dass Deutschland eine ganze Menge richtig gemacht zu haben scheint. Und, um nochmal auf die Wortwahl zurückzukommen, ohne Kriegsmetaphern zu wählen sondern statt dessen das Miteinander und eine gemeinsame Verantwortung in den Fokus zu stellen.
Zurück ins Neue
Aber wieder zu Japan. Was bedeutet nun die Aufhebung des Notstands für den Alltag hier? Was ist dieses ‚new normal’ in Japan?
Auf Japanisch ist es zunächst einmal korona jidai no aratana nichijō. Korona jidai bezeichnet hier die Era des Coronavirus und aratana nichijō bedeutet in etwa ‚neu jeden Tag‘.
In der Praxis heißt das erstmal, dass die Geschäfte und Kaufhäuser wieder geöffnet haben und die etablierten Social Distancing Maßnahmen beibehalten werden, also Masken tragen, Abstand halten, Hände waschen etc. Veranstaltungen werden nach und nach wieder zugelassen von wenigen Teilnehmern bis zu Großveranstaltungen, je nach Verlauf. Auch in Japan ist klar, dass es eine Rückkehr zum „Vorher“ erstmal nicht geben wird. Jede Präfektur will in einem 3-stufigen Prozess die Maßnahmen lockern, seit diesem Montag befinden wir uns in Stufe 2, in der bis auf große Entertainmenteinrichtungen oder Großveranstaltungen soweit wieder alles in Betrieb ist, wenn auch mit Einschränkungen.
Gaijin in Japan
Welche Maßnahmen richtig sind und zu welcher Zeit, sie durchgeführt werden sollten, ist sicherlich weltweit eine anspruchsvolle Entscheidung und schwer einzuschätzen und zu bewerten. Eine bestimmte Entscheidung der japanischen Regierung gibt mir als Gaijin, also Ausländer in Japan, allerdings sehr zu denken: als einziges Land der G7 verhindern die Einreisebeschränkungen Japans seit April eine Einreise von Ausländern, auch wenn sie Einwohner des Landes sind, so wie wir, oder sogar mit einem Japaner oder einer Japanerin verheiratet sind. Seit Wochen betrifft diese Regelung mehr und mehr in Japan lebende Ausländer, die aus vielen Gründen in anderen Ländern festsitzen und keine Möglichkeit haben in ihr Zuhause, in ihren Job und zu ihren Familien und Freunden zurückzukehren. Für uns heißt das: müssten wir etwa aufgrund eines Notfalls in der Familie das Land verlassen, könnten wir auf unbestimmte Zeit nicht an unseren Wohnort zurückkehren. Zwar gibt es offiziell die Möglichkeit, eine Sondererlaubnis zu beantragen, aber keine Voraussetzungen oder Garantien dafür.
Auch wenn mir bewusst ist, dass Japan mit einem sehr geringen Ausländeranteil von knapp 2% in vielen Fällen noch mit vielen Vorbehalten gegenüber Ausländern bis hin zu unverhohlenem Rassismus zu kämpfen hat, ist mir persönlich bisher nichts dergleichen begegnet. Außer den alltäglichen Blicken, die eine 1,78 Meter große, blonde Frau nunmal zwischen im Schnitt 1,70 Meter großen Japanern und 1,58 Meter großen Japanerinnen hervorruft, gibt es bisher zum Glück keine blöden Erfahrungen und das darf auch gerne so bleiben. Allerdings leben auch über 20% der Ausländer in Japan hier in Tokio und ganz besonders in Minato-ku, unserem Stadtteil, so dass wir hier nicht ganz so ungewohnt erscheinen wie im restlichen Land. Umso mehr finde ich diese von der Regierung angeordnete, klar diskriminierende Einreisebeschränkung, die in Japan lebende Ausländer in zum Teil existenzbedrohende Situationen bringt, sehr besorgniserregend.
Endlich wieder raus, da ist Bahnfahren schon ein Erlebnis
Glaube, der Affe braucht auch eine Maske
Runter mit der Wolle
Social Distancing beim Einkauf
93 Tage später
Seit Montag sind die Kinder nach 93 Tagen zu Hause wieder in der Schule. Die kleine Dame war so aufgeregt, dass sie die Wochenenden ab sofort am liebsten abschaffen wollte und senkrecht im Bett saß, sobald ich um 6.30 Uhr die Zimmertür geöffnet hatte. Der kleine Bube war noch etwas skeptisch: „Bus? Ich bleibe hier!“ Er fand es dann aber doch auch super und ist am Dienstag gleich mit Schwung Richtung Fahrrad und Bus aufgebrochen.
Aus Deutschland lese und höre ich immer wieder, wie schwer die Betreuungssituation sich für die Familien gestaltet. Noch lange nicht alle Einrichtungen sind geöffnet, viele nur teilweise und an echten Konzepten mangelt es oft noch.
Was das angeht, haben wir es mit unserer internationalen Schule sehr gut getroffen. Das gesamte Team hat sehr viel Arbeit in die Ausarbeitung eines Hygienekonzeptes gesteckt, das allen Beteiligten eine möglich sichere und gleichzeitig unbeschwerte Betreuungszeit ermöglichen soll. Die Kinder tragen ab sofort im Innenbereich Masken, dürfen aber eine Pause davon machen, wenn sie wollen. Sie spielen nicht so unmittelbar und eng miteinander wie gewohnt und erhalten beispielsweise eigene Beutel mit Stiften, Schere, Kleber etc., so dass häufig genutzte Utensilien nicht ständig hin und hergereicht werden müssen. Stündlich werden währen des Schultages die Flächen gereinigt und desinfiziert, jeden Tag erfolgt eine professionelle Komplettreinigung der Schule und Eltern können bis auf weiteres die Schule nicht betreten sondern müssen in getrennten Bereichen vor dem Gebäude warten. Bei allen Kindern wird jeden Morgen Fieber gemessen, bei einer Temperatur von mehr als 37,5 Grad Celsius können sie nicht teilnehmen.
Die Einhaltung aller Maßnahmen im normalen Schulalltag ist viel Arbeit für alle Lehrer und Mitarbeiter, die sich zusätzlich alle bereit erklärt haben, das Schuljahr um vier Wochen zu verlängern, um den Kindern jetzt noch insgesamt sechs Wochen Schulalltag zu ermöglichen.
Sofern kein Kind krank wird und sich die Situation nicht wieder verschlechtert, kann ich so vielleicht noch einen Monat meinen Intensivsprachkurs machen, Benni kann einen halben Tag ohne Gewusel arbeiten und die Kinder können endlich wieder ein Stück weit Normalität genießen und ihre Freunde sehen.
Wie lange das möglich sein wird, wird sich noch zeigen. Aktuell steigen die Infektionszahlen in Tokio wieder an, ein Grund das Warnsystem der Stadt zu aktivieren: neben einer Pressemitteilung soll die Beleuchtung der Rainbow-Bridge und des Tokyo Government Buildings in Rot alle Tokioter daran erinnern, sich an die Verhaltensrichtlinien zu halten und vorsichtig zu sein.
Auf Käferjagd
Das Jagdrevier
Stadtautobahn und Straße übereinander – hier wird gestapelt, was geht
Noch mehr Käfer?
Der BMX Parcours für Olympia – es wäre so schön gewesen
So. Lockdown Teil 2. Nach fast sechs Wochen Teilschließungen, wurde ab dem 8. April auch in Japan der Notstand für zunächst acht Präfekturen beschlossen, allen voran aufgrund der Infektionszahlen natürlich Tokio. Zehn Tage später wurde der State of Emergency bis zum 6. Mai auf ganz Japan ausgeweitet und jetzt noch einmal verlängert bis Ende Mai. Die jeweiligen Gesetzgebungen für einen Notstand variieren weltweit stark. In Japan bedeutet es neben der Ausweitung der Schließungen auf alle Geschäfte und Einrichtungen, die nicht unbedingt erforderlich sind, und einigen zusätzlichen Befugnissen, dass die Regierung die Bevölkerung auffordern darf, zu Hause zu bleiben. Auffordern im Sinne von dringlich darauf hinweisen. Die Befolgung dieser Aufforderung kann auch kontrolliert werden. Mehr aber auch nicht, es gibt keine rechtliche Grundlage, um die Nichteinhaltung der Aufforderung unter Strafe zu stellen.
In der Realität heißt das, dass man dennoch viele Menschen auf den Spielplätzen und in den Parks sieht, sofern sie nicht geschlossen sind. Auch viele private Kindergärten sind weiterhin geöffnet und ausgelastet. Wenn man bedenkt, dass genug Unternehmen immer noch kein Homeoffice anbieten oder es zwar anbieten, aber nicht wirklich unterstützen, ist es allerdings verständlich, dass arbeitende Eltern keine Alternativen sehen, als die geöffneten Kindergärten weiter zu nutzen.
Keine Angst vor Masken
Eine Sache, die hier in Japan sicherlich eine große Rolle sowohl für die Entwicklung der Zahlen, als auch für den Umgang mit Social Distancing spielen, ist die grundsätzliche Handhabung von Hygiene-Maßnahmen. Masken wurden hier schon lange getragen, als viele Nationen noch müde darüber gelächelt haben. Nach zehn Monaten in einem Land, in dem Masken aus Rücksicht vor anderen völlig normal sind, auch bei einer gewöhnlichen Erkältung, bin ich manchmal sprachlos, wenn ich lese, dass Menschen sich ihrer Grundrechte und jeglicher Möglichkeiten ihren Gefühlsausdruck kund zu tun beraubt fühlen, weil sie nun für eine Weile Masken tragen sollen.
Händeschütteln ist in Japan ohnehin kein Thema, man verbeugt sich freundlich zur Begrüßung. Desinfektionsmittel wurden schon vor Corona in den Eingangsbereichen vieler Restaurants und Geschäfte bereitgestellt. Und es gilt ein besonders vorsichtiger Umgang mit Schuhen. In einer üblichen japanischen Wohnung ist der Eingangsbereich extra abgesetzt, entweder durch eine Stufe oder wie bei uns durch Fliesen. In dieser Zone werden die Schuhe ausgezogen und kein Bereich der restlichen Wohnung wird jemals damit betreten. In manchen Fällen gibt es noch unterschiedliche Hausschuhe für Wohnbereiche und Toilette. All diese Gewohnheiten sind sicherlich sehr hilfreich im Kampf gegen Corona, allerdings tragen sie aktuell vielleicht auch ein Stück weit dazu bei, dass ein trügerisches Sicherheitsgefühl entsteht und Social Distancing nicht immer ganz so ernst genommen wird. Auf der anderen Seite scheint das nicht nur hier in Japan ein Problem zu sein.
Insgesamt aber fällt es in einer so großen und vor allen Dingen dicht besiedelten Stadt wie Tokio deutlich auf, wenn viele Menschen zu Hause bleiben. Es ist sehr ungewohnt die zeitweise leeren Straßen und Bahnen zu sehen, wo sonst Menschen dicht an dicht zusammen stehen und gehen. Im großen und ganzen werden die Maßnahmen also eingehalten, aber es wird sich zeigen, ob das reichen wird.
Kaum zu glauben – leere Bahnen mitten in Tokio
Nest-Geschehen
Für uns hat gerade die elfte Woche der Schulschließungen begonnen und seit fünf Wochen haben wir täglich Online-Meetings mit den beiden Klassen der Kinder. Die Lehrer geben sich sehr viel Mühe, die Kinder zu beschäftigen und ihnen einfach wieder ein Stück Alltag mit ihren Freunden und Betreuern zu bieten. Das ist eine echte Bereicherung und macht beiden viel Spaß.
Kindergarten online
Unser Tagesablauf ist nun vor allem vormittags mehr oder weniger durchgetaktet. Um 9.30 Uhr, nachdem bereits gespielt, gefrühstückt und die Wohnung zum ersten Mal verwüstet wurde, findet die Session für den kleinen Buben statt, die kleine Dame ist selbstredend auch in der kleinen Gruppe voll mit dabei. Das Morgenlied wird gesungen, das Wetter diskutiert (ja, das Wetter ist schon in sehr frühen Jahren ein Thema) und dann wird je nach Wochentag eine halbe Stunde zusammen Snack-Time gemacht, getanzt und gesungen, gespielt gebastelt oder Geschichten gelauscht. Sehr beliebt war hier die Sensorik-Flasche, die die Kinder gemeinsam an ihren Bildschirmen mit Perlen, Spielzeugen, Pfeifenreinigern oder was sonst gerade greifbar und klein genug war, befüllt haben und anschließend mit Wasser auffüllen durften. Tagelang wurde danach noch geschüttelt und gestaunt.
Um 10.45 Uhr ist Session-Time mit der Gruppe der kleinen Dame. Auch hier wird gesungen, gespielt und gebastelt, aber schon die fortgeschrittene Version mit Zahlen, Buchstaben und anderen Lerninhalten. Ich bin jedes Mal begeistert, was die Gruppe schon alles aufnimmt und in Windeseile begreift. Schön, das mal live beobachten zu können, statt nur, wie sonst, Bruchstücke davon erzählt zu bekommen.
Basteln mit der Klasse
Schüttelspaß
Gemeinsame Sandwich-Session
Um 11.15 Uhr beginnt die von mir eingeführte „Erik-Zeit“. Erik ist der Moderator des ZDF-Lernfernsehens PUR+, der den Kindern so lange etwas über wilde Tiere, Fallschirmspringen, Extremtauchen, Farben usw. erzählt, bis ich mal in Ruhe eine Runde Sport gemacht habe.
Steffi online
Wie so vieles im Moment, findet auch der Sport für mich dank Gymondo online statt. So hopse und springe ich über meine Matte im Schlafzimmer und einmal die Woche gibt es sogar ein ganz besonderes Highlight für mich: Steffi! Wer oder was ist Steffi? Nicht nur ist Steffi eine großartige und liebenswerte Persönlichkeit, sie ist auch die Trainerin, die ich jedem nur wünschen kann. Sie hat sich mit ihrem Programm Mami & mini auf Fitnesskurse nach der Geburt spezialisiert, zu deren Einstiegsversionen man die Babys mitbringen kann. Nach der Geburt der kleinen Dame war das ein großer Glücksfall für mich, da ich zu den üblicherweise abends angebotenen Sportprogrammen für Mamas ohne die Babys nicht teilnehmen konnte mit Bennis Arbeitsrhythmus. Seitdem habe ich mich sowohl mit der kleinen Dame als auch mit dem kleinen Buben durch so viele von Steffis Kursen wie möglich geturnt, konnte aber leider das nachfolgende Bootcamp nie nutzen, weil auch das ohne Kinder statt findet. Aaaaaaaber jetzt! Um die vielen Mamas im Lockdown abzuholen, hatte Steffi die grandiose Idee, ihre Kurse jetzt online anzubieten und so habe ich sogar aus Tokio die Möglichkeit endlich mal wieder mitzumachen. Ein dickes Danke dafür!
Nach der Sporteinheit des Tages und der danach dringend nötigen Dusche im Schnelldurchlauf ist sowas von Mittagspause angesagt. Der kleine Bube schläft selig eine ordentliche Runde, die kleine Dame ist froh, dass sie mal ungestört mit ihren Bereichen des Tablets schalten und walten darf und ich schaffe meistens noch einen schnellen Einkauf, bevor ich auf der Couch kollabiere, bevor der Nachmittag wieder mit seinem geballten Chaos Fahrt aufnimmt: „Mama, schau, wir haben eure Klamotten zum Verkleiden genommen!“, „Mama, hier ist es total nass, er [der kleine Bube] hat die Wasserflasche selbst aufbekommen – toll, oder?!“, „Ich spiele lieber in eurem Schlafzimmer, in unseren Zimmern liegt überall was auf dem Boden.“, „Mama, wir sollen doch nicht mit den Stiften an die Wand malen, oder?“…
Rausgehen ist eine Herausforderung, nicht nur, weil man hier erstmal Wege finden muss, die nicht voller anderer Eltern mit Kindern sind, denen auch die Bude auf den Kopf gestellt wird, sondern auch, weil ich jedes Mal das Gefühl habe, einen Sack Flöhe Gassi zu führen. Da werden wie wild Pflanzen gepflückt (und zu Hause liebevoll ins Wasser gestellt), Enten, Katzen, Hunde, Raupen und Käfer bestaunt, entgegengesetzte Richtungen gleichzeitig erkundet und Laufgeschwindigkeiten erheblich variiert. Von den Ampeln und dem Erlernen ihrer Grundregeln für die Zweijährigen unter uns will ich gar nicht anfangen.
Unser Lieblingsweg
Ein Team
Päuschen mit Aussicht
Nach Abendessen und gefühlten Stunden des Aufräumens bleibt mir nicht mehr viel Zeit, bis ich kapituliere und selbst schlafen gehe. So viel zum Alltag im Lockdown. Auf ein Neues morgen!
Der Wahnsinn im Bild
Kunst im Vorbeigehen
Jegliche Sightseeing-Aktivität muss leider auf bessere Zeiten warten, aber ich habe wenigstens die „25 Porticos: The Color and its Reflexions“ auf Odaiba mal schnell festgehalten, ein Kunstwerk von Daniel Buren, an dem ich oft vorbeikomme. Ein klitzekleines Stückchen Tokio-Tourismus, den ich sehr vermisse.
So. Ich bin so lange nicht zum Schreiben gekommen, dass ich wohl offiziell sagen kann: ich bin angekommen. Angekommen im ganz normalen Alltag in Tokio. Meine Vormittage sind mit Erkundungstouren, Einkäufen, Hausarbeit, Kursen und ab und zu inzwischen sogar mit Treffen mit einer anderen Mama gefüllt. Nächsten Monat mache ich dann noch einen Intensivsprachkurs 4 Tage die Woche, da wird es morgens noch voller. Meine Nachmittage gehören meinen unerschrockenen Nachwuchsexpats. Wenn dann ab 20.30 Uhr wieder Ruhe einkehrt, schaffe ich meistens noch etwa 10% von den geplanten Tätigkeiten, dann ist Schicht im Schacht. Nicht, dass das in Deutschland anders war. Ganz normaler Alltagswahnsinn in immer gewohnterer Umgebung also.
Was aber hatte besagte Umgebung in den letzten Wochen so zu bieten für uns? Nach einem wirklich schönen Weihnachtsurlaub in Deutschland, sind wir am 31.12. nachmittags wieder in Tokio gelandet. Nach einem Einkauf und dem üblichen Auspack-Wahnsinn wurde noch ausgiebig mit allen Weihnachtsgeschenken aus Deutschland gespielt, die endlich alle aus ihren diversen Taschen und Koffern befreit waren und voll und ganz zur Verfügung standen. Wer jetzt glaubt, es gab dann noch das große Silvesterfeuerwerk wenigstens für die größeren Familienmitglieder – keine Chance. Aus gleich zwei sehr entscheidenden Gründen. Nummer 1: Wir haben tief und fest geschlafen. Nummer 2: In Japan gibt es üblicherweise kein Silvesterfeuerwerk. Es wird im Gegenteil eher ruhig im Kreis der Familie gefeiert und das Neue Jahr wird am nächsten Tag mit dem Besuch eines Schreins begrüßt. Den Teil mit der Ruhe und der Familie haben wir also tadellos japanisch gemeistert. Die letzten freien Tage haben wir den Jetlag von der Leine gelassen und es außer einem Abend zu zweit in Ginza und einem Ausflug nach Odaiba alle zusammen seeeehr langsam angehen lassen. Frohes Neues Jahr der Ratte!
Die Rainbow-Bridge hat sich hübsch gemacht für unsere Rückkehr
Kunst von Klaus Haapaniemi in einem von Ginzas Einkaufstentren
Spielerischer Auftakt
Wieder halbwegs in den normalen Wochenablauf gestartet, haben wir uns als erstes neues Ausflugsziel des Jahres das Spielzeugmuseum In Shinjuku ausgesucht. Anders als im Spielzeugmuseum in München, darf hier allerdings nach Herzenslust mit allen Exponaten gespielt werden. Lernspielzeug, traditionelles japanisches Spielzeug, Holzspielzeug, Musikinstrumente, Motorikspielzeug, es gab viel zu entdecken.
Schnitzeljagd durch Tokio
Kommen wir zu einer sehr kreativen Idee der U-Bahngesellschaft Tokyo Metro – Achtung, wir betreten ein wenig Nerd-Land! Wer kennt Escape-Games? Räume, in denen mehrere Spieler versuchen Rätsel zu lösen, Codes und Schlösser zu knacken und mit ganz unterschiedlichen Rahmenhandlungen kleine Geschichten durchzuspielen, die alle am Ende dazu führen sollen, den Raum als Sieger wieder verlassen zu können. Liebt man oder hasst man, schätze ich. Ich finde sie großartig. Ich mag schon die Brettspielvariante für zu Hause, aber die echten Spiele umso mehr. Benni und ich haben uns letztes Jahr schon durch Frankfurts, Dubrovniks und Wiens Escape Rooms gepuzzelt, was das Zeug hält. Da es aber nicht wirklich eine kleinkindtaugliche Freizeitbeschäftigung ist, kommen wir nicht so oft dazu. Hier in Tokio haben wir noch nicht mal danach gesucht bisher.
Nun habe ich aber dank Tokyo Metro einen unterhaltsamen Ersatz gefunden: the Underground Mysteries (jetzt bitte Trommelwirbel vorstellen). Jedes Jahr im Herbst erscheint eine neue Ausgabe des Live-Rätsels. Man kauft sich an einer der Stationen ein Spieleset und erhält ein Täschchen mit Heft, Stift und mehreren Umschlägen oder anderen Gegenständen, die man noch nicht näher untersuchen darf. Dann geht es los: das Heft leitet durch das Spiel, das einen zu verschiedenen Bahn-Stationen der Tokyo Metro führt, welche man vorher jeweils erst errätseln muss. Dann muss man ein oder meist mehrere Rätsel an dem erratenen Ort lösen und weiter geht’s. Es ist also eine Mischung aus Schnitzeljagd und Escape-Game. So bin ich schon durch Kōtō gestreunert, um Bildern auf dem Bürgersteig zu folgen. Oder mysteriösen Handabdrücken in Hibiya auf den Grund gegangen. Zur jeweiligen Station gibt es dann noch Tipps und Informationen zur Umgebung wie zu Museen, Cafés, Restaurants, Parks etc., die es sich lohnt anzusehen. So führt einen das Spiel durch Tokyo und konzentriert sich dabei auf die nicht so bekannten Seiten der Stadt, die man damit auch mal kennen lernt. Unterwegs habe ich schon viele andere Rätsellöser mit dem Heft in der Hand gesehen, es scheint sowohl Tokiotern als auch Touristen gleichermaßen Spaß zu machen.
Leider werde ich das Spiel diese Saison nicht mehr abschließen können, da es Ende Februar beendet wird und inklusive der ganzen Bahnstrecken wirklich Zeit kostet. Nächstes Mal fange ich gleich im Oktober damit an.
Rätselmaterialien
Auf Bildersuche
Handabdrücken auf der Spur (Denkt noch jemand an Han Solo?!)
Roboterkarneval
Neben Pet-Cafés, psychedelisch bunten Einkaufsstraßen oder Monster-Café ist auch das Robot Restaurant in Shinjuku ein beliebtes Ziel für Touristen und ein weiteres Beispiel für abgedrehtes japanisches Unterhaltungsprogramm. Es war ohnehin mal wieder an der Zeit für ein bisschen Irrsinn, da traf es sich ganz gut, dass Bennis Chef zu einem Teamevent mit Anhang einlud: Besuch des Robot Restaurants mit anschließendem Abendessem in einem Shabu-Shabu Restaurant. Wer sich jetzt fragt, wieso es zwei Restaurants hintereinander sein müssen, dem sei versichert, dass das Robot Restaurant streng genommen weder mit Robotern noch mit einem Restaurant viel gemeinsam hat. Man kann zwar ein paar fragwürdige Chickenteile oder Popcorn ordern und jede Menge zum Großteil ferngesteuerte Maschinen bewundern, das war es aber auch mit dem kulinarischen oder roboterartigen Anteil. Dafür wird eine völlig abgedrehte 90-minütige Show geboten, die mich abwechselnd amüsiert und befremdet hat und insgesamt etwas ratlos zusehen ließ. Auf riesigen fahrbaren Aufbauten tanzen und bekämpfen sich Helden und Unholde in einem großen Spektakel aus Musik, Lasershow und Schauspielkunst. Ein bisschen wie eine Mischungs aus Karnevalsumzug und skurrilem Theater. Helau!
Danach ging es dann wie geplant noch zum Essen. Shabu-Shabu ähnelt unserem Fondue. Sehr dünn geschnittenes Fleisch und Gemüse wird am Tisch in kochendem Sud gegart und anschließend in Soße gedipt. Sehr lecker und ein schöner Abschluss des Abends.
Shabu-Shabu
Raus aus Tokio
Im Februar durften wir auch mit Adrian unseren ersten Gast in Tokio willkommen heißen. Adrian und ich kennen uns schon seit dem Kindergarten (also inzwischen erschreckend lang) und ich habe mich sehr über seinen Besuch gefreut. Vieles habe ich mit ihm noch ein zweites Mal gesehen, aber es bot sich so auch an, Tokio mal hinter uns zu lassen und etwas Neues zu machen.
Kamakura ist nur etwa eine Stunde mit dem Zug entfernt von Tokio und war vom 12. bis 14. Jahrhundert Regierungssitz Japans. Von den vielen vorhandenen Sehenswürdigkeiten haben wir uns vor allem die Tempel Hōkuku-ji und Kōtoku-in ausgesucht. Ersterer ist bekannt für seinen wunderschön angelegten Bambuswald, der Kōtoku-in für seinen Daibutsu, einen riesigen, über 13 Meter hohen bronzenen Buddha aus dem 13. Jahrhundert. Kamakura ist ein willkommener Kontrast zu Tokio und auf jeden Fall einen Besuch wert.
Bambuswald des Hōkoku-ji
Daibutsu
Neue Perspektive
Mit Adrian war ich auch noch einmal auf dem Tokyo Tower, der bei gutem Wetter aber immer etwas hermacht, auch wenn er mittlerweile so etwas wie der alte Herr der Aussichtspunkte ist. Was ich noch nicht wusste: man kann ab dem Main Deck auch die Treppe nach oben nehmen. Oder man macht es wie wir und nimmt sie einfach auf dem Rückweg nach unten und hat während des Abstiegs diesen Teil des Turms ganz für sich alleine.
Sammlerstücke
Schon letztes Jahr hatte ich von Nagomi Visit gehört, einer Organsiation, die Japaner und Ausländer buchstäblich an einen Tisch bringt. An den Tisch der japanischen Gastgeber um genau zu sein. Beide Seiten können sich registrieren, um für die jeweilige Gegend ein passendes Treffen entweder zum Mittag- oder Abendessen zu vereinbaren. Dann trifft man sich an der nächstgelegenen U-Bahnstation und wird von den Gastgebern in ihre Wohnung begleitet, wo ein hausgemachtes Essen und kultureller Austausch warten. Ich fand die Idee sehr schön und hatte es schon auf meiner To-Do-Liste, als Adrian auch vorschlug, Nagomi Visit auszuprobieren.
So vereinbarten wir ein Treffen mit einem Pärchen aus dem Stadtteil Ōsaki und wurden sehr herzlich empfangen und bekocht. Izumi und ihr Mann, dessen Name mir schändlicherweise entfallen ist, waren bestens vorbereitet, schließlich waren wir schon die 41. Besucherrunde, die sie zu Gast hatten. So war der Selfie-Stick für das Gruppenfoto schon fertig in Position installiert, die Menükarten vorbereitet und das Gästealbum bereit gelegt. Ein bisschen wurden wir das Gefühl nicht los, wie lebendige Trophäen in das Sammelalbum der ausländischen Gäste eingefügt zu werden, aber alles auf eine sehr liebenswerte Art. Man ist ja auch nicht alle Tag ein Exot.
Izumis Mann hatte sich vorab extra die Mühe gemacht, unsere Namen auf Kanji zu übersetzen und Visitenkarten mit den einzelnen Bedeutungen vorbereitet. Die Übersetzung in Kanji ist streng genommen rückwärts, da jedes Kanji in der Regel eine eigene Bedeutung hat und dementsprechend Worte und Sätze gebildet werden. Da unsere Namen keine Bedeutung haben, bzw. diese für einen Japaner nicht ohne weiteres auszumachen sind, hat unser Gastgeber die Kanji nach ihren Lauten zusammengesetzt, so wie man es in Hiragana und Katakana tun würde. Simone setzt sich nach dieser Methode aus den Kanji für Baum, Knospe und Geräusch zusammen. Gestatten: Baumknospengeräusch.
Unsere schicken neuen Namen hat er dann noch genutzt, um uns Shodō, also die Kunst der Kalligrafie, vorzuführen. Danach durften wir uns auch selbst mit dem Pinsel versuchen. Sehr interessant und eine schöne Idee, um uns japanische Traditionen näher zu bringen. Satt, zufrieden und reich beschenkt mit unseren Visitenkarten, einem Tengui (japanisches Tuch, das als Geschenkverpackung, Geschirrtuch, Tischläufer oder ähnliches verwendet werden kann), einer Brosche und unserer Shodō-Kunst wurden wir schließlich verabschiedet.
Shodō
Mein Versuch
Reich beschenkt
Ein paar Worte zu COVID-19
Neben allen schönen und alltäglichen Dingen, die uns hier begegnen, betrifft uns natürlich, wie den Rest der Welt auch, das Coronavirus. Aktuell gibt es 870 gemeldete Fälle einer Erkrankung in Japan, 709 davon stehen in Zusammenhang mit den Erkrankungsfällen auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess. Letzteres darf man nicht außer Acht lassen, um die Beunruhigung vorerst nicht zu groß werden zu lassen.
Japans Gesundheitsministerium reagiert aktuell mit folgenden Verhaltensempfehlungen:
mit Erkältungsanzeichen zu Hause bleiben und Besuche in Krankenhäusern unterlassen
große Menschenmassen vermeiden
häufiges und gründliches Händewaschen
beim Niesen Mund und Nase bedecken
Zusätzlich empfiehlt die Regierung allen Arbeitgebern, ihren Mitarbeitern Homeoffice zu ermöglichen, gestaffelte Arbeitszeiten zu erlauben, um die Rush-Hour in Zügen zu vermeiden, und sicherzustellen, dass Mitarbeiter mit Erkältungssymptomen Krankheitstage nehmen können.
Masken und Handdesinfektionsmittel sind ausverkauft, was zum Teil zu kreativen DIY-Lösungen aus selbstgenähten oder zusammengetackerten Papiertüchern/Kaffeefiltern etc. führt. Was ihre Masken angeht, werden Japaner wohl an einem wunden Punkt getroffen, wenn es hierbei zu Lieferengpässen kommt. Experten weisen jedoch immer wieder darauf hin, dass eine gründliche Handhygiene sehr viel effektiver ist, als das Tragen von Gesichtsmasken. Masken helfen allerdings, sich gerade unterwegs nicht ins Gesicht zu fassen und damit Krankheitserreger zu verteilen. Solange wir noch Masken im Haus haben, benutze ich sie daher für Fahrten mit der Bahn, achte aber vor allen Dingen bei uns allen auf häufiges Händewaschen.
Abgesehen davon verfolgen wir aufmerksam die Berichterstattung und versuchen, uns nicht unnötig zu beunruhigen.
Jetzt leben wir seit fünf Monaten in Tokio und haben die wichtigsten Schritte in einen funktionierenden Alltag gemeistert. Was wir aber noch nicht geschafft hatten, war abends zu zweit auszugehen. Die Einladung zum bōnenkai des Kindergartens war dann ein willkommener Grund, das zu ändern. Bōnenkai ist eine japanische Jahresabschlussparty, zu der gerne viel getrunken wird. Im Prinzip die Entsprechung unserer Weihnachtsfeier im Kollegenkreis. Nachdem die Kinder sich im Kindergarten gut eingefunden haben und englischsprachige Betreuung inzwischen gewöhnt sind, haben wir es vor dem bōnenkai auf einen Babysitting-Testlauf ankommen lassen. Aoki-san, eine muntere ältere Dame, die bereits in den USA und in Kanada gelebt hat und damit perfektes Englisch spricht, hat sich hervorragend um Bube und Dame gekümmert und beide entspannt ins Bett gebracht, während wir die Zeit genutzt haben, um uns eine brandneue Attraktion in Shibuya anzusehen.
Shibuya Sky
Auf dem Dach des erst Anfang November eröffneten neuen Hochhauses Scramble Square kann man auf 230m die Aussicht auf einer Plattform unter freiem Himmel genießen. Wie Ameisen sehen die Menschen auf der berühmten Shibuya-Crossing von da oben aus und gerade im Dunkeln ist es ein wirklich schöner Blick auf die Lichter der Stadt.
Shibuya Crossing
Da Bube und Dame das Babysitting mit Bravour mitgemacht hatten, konnten wir dann auch ein paar Tage später unser bōnenkai genießen. Feine Sache.
Sonntag war uns erst am Nachmittag nach Unternehmung und da wir die Woche vorher das Gasmuseum gerade noch so anschnuppern konnten, bevor es auch schon wieder zu machte (das wird nochmal wiederholt, ähnlich wie schon das Wassermuseum ist es nämlich toll gemacht), haben wir uns diese Woche für den lang geöffneten Maxell Aqua Park in Shinagawa entschieden. Mitten in einem Hochhaus untergebracht, gibt es jede Menge Meerestiere zu besuchen, die besonders der Bube ganz fantastisch fand. „Blubb, blubb!“ rief er schon auf dem Hinweg in Endlosschleifen und drückte sich an jeder Glasscheibe die Nase platt. Nach Karussellfahrt und Delfinshow war er dann endgültig beeindruckt und die kleine Luke ging kaum wieder zu.
Kurisumasu (クリスマス)
Da wäre dann noch das Thema Weihnachtszeit. Trotz aller Hektik und Termine und der Tausend Dinge, die gefühlt exakt vier Wochen vor Weihnachten auf einmal da sind und unbedingt noch im alten Jahr erledigt werden wollen, liebe ich die Weihnachtszeit. Weihnachtsmärkte, Plätzchen backen, Deko im Haus verteilen, Geschenke besorgen, Weihnachtsmusik, Lebkuchen, Glühwein, einfach alles schön! Mir egal, wie kitschig das ist, alles schön, Punkt.
So. Jetzt bin ich also in einem Land gelandet, in dem das Christentum eine eher untergeordnete Rolle spielt – auch wenn der Pabst gerade hier vorbei geschaut hat – und die meisten Menschen, wenn religiös, dann im Shintō oder im Buddhismus zuhause sind. Wie also ist das wohl mit Weihnachten in Japan? Naja, es wird gefeiert. Auch hier. Auch ohne Christentum, aber wenn wir mal ehrlich sind, ist die Religion auch in Deutschland nicht immer der Star des Festes. Aber Japan wäre nicht Japan, wenn es nicht seine eigene Interpretation eines Weihnachtsfestes hervorgebracht hätte. Ist hier Neujahr das eigentliche Familienfest, gibt es an Weihnachten zwar auch eine Santa-Clause-Version für die Kinder, aber vor allen Dingen ist es ein Abend für Paare. Also eher so eine Art Date Night mit Weihnachtsbeleuchtung. Und letzteres wird visuell gewohnt bombastisch umgesetzt. Ganze Straßenzüge sind jetzt in aufwendige Lichtinstallationen verpackt und fügen dem ohnehin schon bunt und hell erleuchteten Tokio noch mehr Lichterglanz hinzu. Leider sehe ich vergleichsweise wenig der Beleuchtung, da ich abends eher selten unterwegs bin, aber das, was ich bisher gesehen habe, ist wirklich schön.
Das war es dann aber, das mir hier ein bisschen Weihnachtsstimmung macht. Weihnachtsmärkte werden hier auch gerne mal probiert (meist als Bestandteil einer Shoppingmall), aber es bleibt wie auch das Oktoberfest bei einem Versuch. Also hören wir zu Hause Weihnachtslieder rauf und runter und haben uns eine Weihnachtsbaum-Winzling und eine Lichterkette gegönnt. Und die Kinder freuen sich jeden Tag über ihren Adventskalender. So verbringen wir exakt die Hälfte der Adventszeit in japanisch-deutschem Weihnachtsspagat, dann geht es nach Deutschland in die echte Weihnachtszeit mit Freunden und Familie.
Tokyo Tower (links) und Skytree (rechts) helfen beim Leuchten
Wir fangen heute mal mit einer kleinen Begriffsdefinition an.
kawaii oder かわいい
‚Kawaii’ ist genau genommen so viel mehr als nur ein Begriff, es ist allgegenwärtig und fester Teil des japanischen Lebens.
Was also bedeutet ‚kawaii‘? Ich bin schon recht früh auf das Wort gestoßen und meine auch, es früher schonmal gehört zu haben, aber Bedeutung und vor allem Ausmaß sind mir erst hier klar geworden. ‚Kawaii‘ bedeutet zunächst mal ‚niedlich‘, ‚süß‘ oder ‚kindlich‘. Man hört es auf der Straße gerne mal, wenn eine Japanerin oder ein Japaner einen von diesen Mini-Fellbällen sieht, die sie hier Hunde nennen. Oder ein (scheinbar) niedliches Geschirr-Set. Oder meine Kinder, die ja hier hohen Seltenheitswert haben mit ihren blonden Haaren und eine kleine Attraktion sind, weil sie auch noch im Doppelpack auftreten. Ein sehr hoch gesprochenes „Kawaaaaaaiiii“ zusammen mit dem Ausdruck der puren Verzückung begegnet uns also schon seit wir hier sind immer mal wieder. Doch die Bedeutung von ‚kawaii‘ geht weit über ein bloßes Adjektiv hinaus. Wikipedia sagt dazu: „Mittlerweile steht er [der Ausdruck ‚kawaii‘] für ein ästhetisches Konzept, das Unschuld und Kindlichkeit betont und sich auf alle Bereiche der japanischen Gesellschaft ausgedehnt hat.“
Und mit allen Bereichen sind auch sehr offizielle oder administrative Bereiche gemeint. Als wir gerade erst angekommen waren und die ersten Ämtergänge hinter uns hatten, kam ein Schreiben, das komplett in Kanji geschrieben war, das ich also ohne Übersetzung nicht zuordnen konnte. Auf dem ganzen mehrseitigen Dokument waren niedliche Comic-Häschen zu finden. Ich hielt es erstmal für nicht weiter wichtig, weil – hallo?!? – HÄSCHEN? Es waren unsere Sozialversicherungsdaten und damit die hier wichtigsten personenbezogenen Nummern für unseren Aufenthalt.
Niedliche Figuren und Maskottchen sind hier sehr beliebt, nicht nur in Vereinen oder im Sport sondern eben auch in Verwaltung oder bei offiziellen Einrichtungen. Pipo-kun zum Beispiel, ein oranges mausähnliches Kerlchen (und ein Kerlchen muss er sein, denn -kun ist die Nachsilbe für Jungen), ist das offizielle Maskottchen der Tokyo Metropolitan Police. Straßenabsperrungen sind hier gerne mal Häschen, Frösche oder andere Tierchen. Erwachsene Japaner sitzen mit ihren Trinkpäckchen in der Bahn, an Designerhandtaschen baumeln Stofftierchen und Japanerinnen folgen in großen Teilen einem Schönheitsideal, das sie möglichst unschuldig und süß aussehen lässt. ‚Kawaii‘, wohin man schaut.
Wenn man hier lebt, ist man täglich von ‚kawaii‘ umgeben, aber diese Woche, habe ich es mal richtig krachen lassen und explizit Jagd auf die Niedlichkeit gemacht. Kindisch sein kann ich auch. Willkommen in meiner bonbonbunten, verrückten, zuckersüßen Woche!
Das Monster Harajuku
Harajuku – ein hippes Streetart-Viertel Tokyos – ist so oder so jeden Ausflug wert. Ausgefallene Mode, entspanntes Publikum, schöne Cafés und eine Menge großer und kleiner Läden machen die Gegend interessant und farbenfroh. Der Designer Sebastian Masuda nennt Harajuku ein Monster, das alles verschlingt und ständig wächst und hat ihm mit dem „Kawaii Monster Café“ ein Denkmal gesetzt. ‚Kawaii‘, eh?
Mel-Tea Room
Kulissentest
Auftritt Harajuku-Girls
Jep, Einhorn
Mushroom-Disco
Ich war ja auf einiges gefasst, nachdem ich mir vorher schon Bilder angesehen hatte, aber live war es dann nochmal eine Schippe mehr auf der Regenbogenskala. Mein lieber Freund, war das BUNT. Begrüßt wird man von einer der fünf Harajuku-Girls, Mädels in schönstem Cosplay-artigen Kostüm: Baby, Dolly, Candy, Nasty und Crazy. Wir wurden von Nasty in Empfang genommen, ich konnte mir ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. Hätte ich mir eine aussuchen dürfen, es wäre wohl Nasty geworden. Immer hinter Nastys ausladendem Rock her ging es zu unserem Platz. Von hier aus konnten wir auch die kleine Show anschauen, die die Harajuku-Girls regelmäßig auf dem Karussell in der Mitte des Cafés aufführen. Bube und Dame stand der Mund offen bei so viel Farbe und Musik. Mir auch. Nachdem wir bunte Spaghetti, einen lila Burger und Pommes mit bunten Soßen verdrückt hatten und uns alles angeschaut haben, war es dann auch wieder Zeit für eine Farbdiät und eine weniger reizüberflutende Umgebung für die völlig überdrehten Kinder. Nicht zu viel auf einmal.
…widerstehen…?
Wer kann da schon…
Cheeeeese
Den nächsten ‚kawaii‘-Ausflug hatte ich für mich alleine reserviert. Ich wollte meine Aufmerksamkeit für die bunte Welt der Takeshita-dori, einer schrillen Einkaufsstraße ebenfalls in Harajuku, nicht zwischen Bube, Dame und den unzähligen Details der Umgebung teilen müssen. Außerdem ist die Takeshita ein sehr beliebtes Ziel für Einheimische und Touristen und unter der Woche vormittags noch einigermaßen entspannt. Ein paar Stationen hatte ich mir vorher vorgenommen, ein paar kamen spontan dazu.
Purikura zählte definitiv zu den geplanten Attraktionen. Wer erinnert sich noch dunkel an die Zeit vor Smartphones und Snapchat, als zu unseren ultimativen Teenie-Freundschaftsbeschäftigungen der Besuch eines Passbildautomaten zählte? Zu zweit, zu dritt oder bis an die Schmerzgrenze quetschten wir uns in die kleinen Kabinen und schmissen uns in Pose, was das Zeug hält. Purikura ist genau DAS, nur besser. In zahlreichen unterschiedlichen Automaten können hier gänzlich passuntaugliche selbstklebende Bilder geschossen und im Anschluss mit Filter- und Verzierungsfunktionen bearbeitet werden. Großartig!
Eingang ins Fotoparadies
Welcher darf es sein?
3-2-1…
…Pose!
Die Takeshita-Straße ist schon ein besonderes Sammelsurium an Süßem und Süßigkeiten. Glitzerstifte, Lipgloss in Disneyfigurenform, Mützen mit Ohren, Onesies in allen Farben und Tierformen oder Plüschtiere sind nur einige Beispiele. Kulinarisch kann man sich durch eine große Auswahl an Lollies, Zuckerwatte, Crêpes und schlichtweg undefinierbaren bunten Kreationen probieren.
Takeshita-dori
Auswahl an Crêpes
Zu den spontanen Programmpunkten zählten zwei Pet-Cafés. Das Mini-Pig-Café musste sein, weil ich diese Miniatur-Schweine mal aus der Nähe sehen wollte. Witzige tiefenentspannte Viecher. Aber noch mehr musste der Owl-Forest sein. Von den Haltungsbedingungen bin ich hier leider gar nicht überzeugt, aber diese wunderschönen Tiere mal ganz nah zu erleben und sogar vorsichtig streicheln zu können, war wirklich faszinierend. Und verdammt sind die flauschig!!
Ferkel-Wohnzimmer
Steckdose auf Tuchfühlung
Schweinchen-Siesta
Kaffeekunst
Völlig übersättigt an Eindrücken, aber ansonsten eher hungrig, weil ich die bunten Verpflegungsangebote ausgelassen hatte, habe ich mich noch im Reissue, einem „echten“ Café, niedergelassen, das schon vorher auf meiner Liste stand wegen seiner Latte Art. Ich wusste nicht einmal, dass es so etwas gibt, aber ich war neugierig. Man hat die Wahl zwischen 2D- oder 3D-Art auf seinem Kaffeemilchschaum. Entweder kommt einem aus dem Schaumberg quasi ein niedliches Tierchen entgegen und schaut einen aus der Tasse an oder man kann sich ein Bild wünschen. Ergebnis: sehr guter Kaffee mit beeindruckendem Mini-Kunstwerk und ein leckeres Curry.
Nicht mehr wirklich ‚kawaii‘, aber schön und auch in Harajuku, habe ich mir noch das Wandbild von Zio Ziegler angesehen. Insgesamt also ein rundum gelungener Ausflug in die besonders bunte Seite von Tokyo mit einem Abschluss in Schwarz-Weiß zum Runterkommen.