Jede Menge Lichter

Jetzt leben wir seit fünf Monaten in Tokio und haben die wichtigsten Schritte in einen funktionierenden Alltag gemeistert. Was wir aber noch nicht geschafft hatten, war abends zu zweit auszugehen. Die Einladung zum bōnenkai des Kindergartens war dann ein willkommener Grund, das zu ändern. Bōnenkai ist eine japanische Jahresabschlussparty, zu der gerne viel getrunken wird. Im Prinzip die Entsprechung unserer Weihnachtsfeier im Kollegenkreis. Nachdem die Kinder sich im Kindergarten gut eingefunden haben und englischsprachige Betreuung inzwischen gewöhnt sind, haben wir es vor dem bōnenkai auf einen Babysitting-Testlauf ankommen lassen. Aoki-san, eine muntere ältere Dame, die bereits in den USA und in Kanada gelebt hat und damit perfektes Englisch spricht, hat sich hervorragend um Bube und Dame gekümmert und beide entspannt ins Bett gebracht, während wir die Zeit genutzt haben, um uns eine brandneue Attraktion in Shibuya anzusehen.

Shibuya Sky

Auf dem Dach des erst Anfang November eröffneten neuen Hochhauses Scramble Square kann man auf 230m die Aussicht auf einer Plattform unter freiem Himmel genießen. Wie Ameisen sehen die Menschen auf der berühmten Shibuya-Crossing von da oben aus und gerade im Dunkeln ist es ein wirklich schöner Blick auf die Lichter der Stadt.

82BB011C-36D2-4D0D-B8D0-2C1CBB273AB1A765318C-9E03-4959-953A-92206E1E49A8

Shibuya Crossing

Shibuya Crossing

Da Bube und Dame das Babysitting mit Bravour mitgemacht hatten, konnten wir dann auch ein paar Tage später unser bōnenkai genießen. Feine Sache.

Sonntag war uns erst am Nachmittag nach Unternehmung und da wir die Woche vorher das Gasmuseum gerade noch so anschnuppern konnten, bevor es auch schon wieder zu machte (das wird nochmal wiederholt, ähnlich wie schon das Wassermuseum ist es nämlich toll gemacht), haben wir uns diese Woche für den lang geöffneten Maxell Aqua Park in Shinagawa entschieden. Mitten in einem Hochhaus untergebracht, gibt es jede Menge Meerestiere zu besuchen, die besonders der Bube ganz fantastisch fand. „Blubb, blubb!“ rief er schon auf dem Hinweg in Endlosschleifen und drückte sich an jeder Glasscheibe die Nase platt. Nach Karussellfahrt und Delfinshow war er dann endgültig beeindruckt und die kleine Luke ging kaum wieder zu.

 

Kurisumasu (クリスマス)

Da wäre dann noch das Thema Weihnachtszeit. Trotz aller Hektik und Termine und der Tausend Dinge, die gefühlt exakt vier Wochen vor Weihnachten auf einmal da sind und unbedingt noch im alten Jahr erledigt werden wollen, liebe ich die Weihnachtszeit. Weihnachtsmärkte, Plätzchen backen, Deko im Haus verteilen, Geschenke besorgen, Weihnachtsmusik, Lebkuchen, Glühwein, einfach alles schön! Mir egal, wie kitschig das ist, alles schön, Punkt.

So. Jetzt bin ich also in einem Land gelandet, in dem das Christentum eine eher untergeordnete Rolle spielt – auch wenn der Pabst gerade hier vorbei geschaut hat – und die meisten Menschen, wenn religiös, dann im Shintō oder im Buddhismus zuhause sind. Wie also ist das wohl mit Weihnachten in Japan? Naja, es wird gefeiert. Auch hier. Auch ohne Christentum, aber wenn wir mal ehrlich sind, ist die Religion auch in Deutschland nicht immer der Star des Festes. Aber Japan wäre nicht Japan, wenn es nicht seine eigene Interpretation eines Weihnachtsfestes hervorgebracht hätte. Ist hier Neujahr das eigentliche Familienfest, gibt es an Weihnachten zwar auch eine Santa-Clause-Version für die Kinder, aber vor allen Dingen ist es ein Abend für Paare. Also eher so eine Art Date Night mit Weihnachtsbeleuchtung. Und letzteres wird visuell gewohnt bombastisch umgesetzt. Ganze Straßenzüge sind jetzt in aufwendige Lichtinstallationen verpackt und fügen dem ohnehin schon bunt und hell erleuchteten Tokio noch mehr Lichterglanz hinzu. Leider sehe ich vergleichsweise wenig der Beleuchtung, da ich abends eher selten unterwegs bin, aber das, was ich bisher gesehen habe, ist wirklich schön.

Das war es dann aber, das mir hier ein bisschen Weihnachtsstimmung macht. Weihnachtsmärkte werden hier auch gerne mal probiert (meist als Bestandteil einer Shoppingmall), aber es bleibt wie auch das Oktoberfest bei einem Versuch. Also hören wir zu Hause Weihnachtslieder rauf und runter und haben uns eine Weihnachtsbaum-Winzling und eine Lichterkette gegönnt. Und die Kinder freuen sich jeden Tag über ihren Adventskalender. So verbringen wir exakt die Hälfte der Adventszeit in japanisch-deutschem Weihnachtsspagat, dann geht es nach Deutschland in die echte Weihnachtszeit mit Freunden und Familie.

Skytree bis Kitchen Town

Wir haben Tokio ja mittlerweile an so einigen Punkten von oben gesehen: wir waren auf dem Dach des Roppongi Hills Mori Tower, sind die Riesenräder in Edogawa und Odaiba gefahren, durch den Sky-Circus marschiert, haben uns den Tokyo Tower angesehen und wohnen im 37. Stock. Aber auf 450 Metern waren wir bisher noch nicht. Wir haben es endlich auf den Skytree geschafft! Der mit 634 Metern höchste Fernsehturm der Welt und das zweithöchste Bauwerk nach dem Burj Khalifa in Dubai blinkt uns aus Sumida bis ins Wohnzimmer zu.

Was soll ich sagen? Ein Blick über Tokio lohnt sich einfach immer und aus dieser Höhe erst recht. Der Bube war besonders von dem halb verglasten Aufzug angetan, der schon während der Fahrt nach oben kleine Ausschnitte der Stadt zu bieten hat.

900FDC2D-A676-4B7B-99CE-B1F664B87D62

Tokio so weit das Auge reicht

FDCB2A03-6EA6-4293-A393-A5EEF5DF2AB5

Das erste Mal ohne Flugzeug in dieser Höhe

Kulinarisches Wunderland

Am Mittwoch habe ich mich dann noch alleine auf Erkundungstour gemacht. Ich wollte mir die Kappabashi Dougu Straße ansehen, auch bekannt als Kitchen Town. Seit 1912 werden hier Artikel rund ums Thema Essen, Küche und Gastronomie angeboten. Das klang interessant. Dort angekommen, stand mir erstmal der Mund offen. In der 800 Meter langen Straße gibt es alles, wirklich ALLES, was man sich unter einer Küchenstadt so vorstellen mag: Töpfe, Pfannen, Besteck, Geschirr, Deko, Lampions, Fake Food aus Plastik, das so echt aussieht, das man reinbeißen könnte, Möbel wohin man auch schaut. Wer in Tokio ein Souvenir sucht, sollte nichts kaufen, bevor er nicht in Kappabashi war. An alle Familienmitglieder und Freunde: die Wahrscheinlichkeit, dass eure Geschenke und Mitbringsel in Zukunft aus Kappabashi stammen, ist enorm hoch!

E56291B9-399F-42F1-A146-3AAA1C0D3BD4

Eingang ins Küchenparadies

EDBC5AB9-5B26-411B-8221-6C9BA23A4CBE

Hier stimmt auch die Deko

14A4704D-0AEC-44CB-8AC6-835BC36F1EF5

Der Skytree grüßt aus einer Seitenstraße

4E3664BA-2A95-45BC-AF9B-B463D4A2FEB4

56466987-21F5-493A-B940-0E40919A3CD0

Jemand eine Essensattrappe?

Definitiv kein Ort für den Rest der Familie – alle drei würden sich wohl schnell langweilen und die beiden kleinsten Vertreter wären zwischen all dem Geschirr denkbar fehl am Platz – aber ich fand es großartig mir unzählige Geschäfte und das Angebot anzuschauen. Und ein paar Schätze mussten natürlich auch mit nach Hause.

Kappabashi Treasures

Ausbeute

Und weil auch etwas Schräges nicht fehlen durfte, gab es für meinen Fahrradschlüssel noch ein Stück aus dem Reich der Plastiklebensmittel, die man hier übrigens vor nahezu jedem Restaurant oder Imbiss findet. Hier kommen die also her!

 

Vorbereitungen

Das kommende Wochenende werden wir aller Voraussicht nach drinnen verbringen müssen. Der 19. Taifun der Saison, Hagibis, hat sich mittlerweile zum Super-Taifun ausgeweitet und wird Faxai übertreffen, wenn er voraussichtlich am Samstag über Tokio hinwegfegt. Mehr als sich einen Vorrat an Wasser und Nahrung zuzulegen und im Haus zu bleiben, kann man nicht wirklich tun, also nisten wir uns im Nest ein und warten ab.

Ab ins Nest!

61 Tage hatten wir kein Zuhause. Neun Wochen hatten wir immer dieselben paar Klamotten in Endlosschleifen an, die in unseren Koffern Platz gefunden hatten. In sieben Unterkünften haben wir uns kurzfristig eingelebt und wieder ausgecheckt. Jetzt sind wir da. In unserem neuen Zuhause. Wir leben in Tokio.

Montag wurden wir um 9.00 Uhr von unserer Maklerin Rio abgeholt. Im übrigen machen Makler hier einen sehr viel umfangreicheren und serviceorientierteren Job als in Deutschland, wo der Auftrag als erledigt betrachtet wird, wenn der Mieter unterschrieben hat. Nicht so für Rio, die nach unserer Zusage noch entschieden hat, dass der Vermieter ruhig noch eine Klimaanlage mehr (in zwei von vier Zimmern war keine installiert) und Vorhänge für alle Räume springen lassen könnte. Das hat sie dann auch tatsächlich ausgehandelt. Den Vorhangstoff und die Farbe für jeden einzelnen Raum konnten wir sogar selbst bestimmen. Dann spielte sie auch noch Chauffeurin für uns und unsere diversen Gepäckstücke sowie Babysitterin für den Buben und die Dame, während wir der Einführung ins Gebäude lauschten.

Den Fahrservice nutzen dann allerdings nur Benni und die Kinder, ich fuhr mein Mamachari nach Shibaura Island. Im Zuge der Einführung lernten wir dann nicht nur, wo unser Briefkasten und die hauseigene Packstation ist sondern auch, wo mein Mamachari wohnt. Im größten Fahrradkeller, den ich je gesehen habe. Und das Bild zeigt nur etwa ein Drittel des ganzen Raums.

Fahrräder ohne Ende

Fahrrad verstaut, alle vollzählig, Koffer hochgebracht bekommen, noch schnell Proviant für den Tag im Supermarkt nebenan besorgt, Benni verabschiedet, es konnte losgehen. Insgesamt reihten sich am Montag drei Service-Checks und drei Lieferungen aneinander. Nach reichlich Gewusel, Auspacken und Aufbauen – zum Glück nicht durch mich sondern von den Möbellieferanten – hatten wir am Ende des Tages schon eine gewisse Gemütlichkeit in unserem Nest – denn so fühlt es sich so weit oben irgendwie tatsächlich an – zwischen all den Kartons und Koffern erreicht. Und an der Aussicht kann sich keiner von uns so richtig satt sehen. Am allerwenigsten der Bube, der immer wieder seinen Lieblingsplatz am Fenster einnimmt und staunt.

Lieblingsplatz mit Aussicht

Schön bei Tag…

…und bei Nacht

Nasser Hund

Dienstagnachmittag ging es nochmal zu Nitori, dem Möbelhaus unseres Vertrauens, um ein paar Dinge nachzubestellen. Der Plan war, dass ich mit den Kindern mit der U-Bahn nach Shibuya fahre und wir uns dort mit Benni an der Hachiko-Statue treffen. Hachiko war der vor ein paar Jahren auch durch den Film mit Richard Gere bekannt gewordene treue Hund, der sein Herrchen jeden Tag vom Bahnhof abholte und nach dessen plötzlichem Tod noch jahrelang bis zu seinem eigenen Tod zur selben Uhrzeit am Bahnhof darauf wartete, ob sein Mensch nicht vielleicht doch noch auftauchte.

Wir kamen auch bis zur Statue – und dann keinen Milimeter weiter. Es goss wie aus Eimern und wir hatten weder Schirm noch Regenjacken noch sonst etwas mit. Großartig. Auch Hachiko sah irgendwie traurig aus. Nitori, nur ein paar Hundert Meter entfernt, war unerreichbar. Nach einer langen Wartezeit und dem Kauf zweier Schirme, haben wir es noch geschafft, waren aber bis auf den auf Bennis Arm gut unter dem Schirm verstauten Buben SEHR nass. Die kleine Dame wurde in ihre Wechselklamotten gesteckt, die Großen bissen die Zähne zusammen und ließen sich während des Einkaufs lufttrocknen.

Mittwoch ging es dann weiter mit Lieferungen und Terminen. Die japanische Entsprechung des Telekom-Technikers kam vorbei, um den Internetzugang freizuschalten und gleich darauf der Mensch des Anbieters, um es einzurichten. Lief alles wie am Schnürchen. Nest ist online.

Oh der Donnerstag. Ein großer Tag und ein anstrengender Tag. Unsere Kisten aus Deutschland wurden geliefert. Nach all den Wochen Minimalismus, waren wir wirklich überfordert mit den ganzen Dingen, die wir glaubten zu brauchen. Puh. Es hätte auch weniger getan. Aber half ja nichts. Alles auspacken und einräumen. Und dabei die Nerven behalten, denn mit zwei Kindern heißt das nichts anderes, als stetig einzuräumen und genauso stetig alles zwecks Begutachtung, Wiedersehensfreude und Spieldrang wieder aus dem Schrank oder einfach direkt aus der Hand genommen zu bekommen. Aber es war schön zu sehen, wie die beiden sich gefreut haben über lang vermisste oder vergessene Sachen.

Ich machte mich schließlich nochmal auf in den Elektronikladen, denn auch daraus fehlten noch ein paar Kleinigkeiten. U-Bahn im Berufsverkehr, es war also soweit. Yay. Geht, aber gibt Schöneres. Entlohnt wurde ich allerdings auf der Rückfahrt, auf der ich die Yurikamome Linie nahm statt der Yamamote Linie wie auf dem Hinweg. Die Yurikamome fährt auf diesem Teilstück komplett überirdisch am Wasser entlang und hat zudem noch Panoramascheiben am vorderen Ende, an dem ich mich durch Zufall wiederfand. Das war mal eine Fahrt mit Aussicht.

Fahrt mit der Yurikamome Linie

Blieb heute noch, die Stühle und den Tisch für die Kinder aufzubauen, aber da hatte ich tatkräftige Unterstützung.

Noch fehlt einiges und es sieht zum Teil noch chaotisch aus, aber hier schonmal die einigermaßen fertiggestellten Bereiche in unserem Nest:

Wohnzimmer

Das Reich der kleinen Dame mit dem selbst ausgesuchten Hochbett

Bubes Zimmer – das war‘s mit dem Babybett

Unser Bett kommt noch – solange tut es die Matratze

Das typische japanische Bad ist zweiteilig, Teil 1…

…und Teil 2

Die Toilette, zu deren berühmten Funktionen an anderer Stelle mehr

Der Eingangsbereich: ganz wichtig ist die geflieste Schuhzone, danach geht es in Hausschuhen oder barfuß weiter