Wir fangen heute mal mit einer kleinen Begriffsdefinition an.
kawaii oder かわいい
‚Kawaii’ ist genau genommen so viel mehr als nur ein Begriff, es ist allgegenwärtig und fester Teil des japanischen Lebens.
Was also bedeutet ‚kawaii‘? Ich bin schon recht früh auf das Wort gestoßen und meine auch, es früher schonmal gehört zu haben, aber Bedeutung und vor allem Ausmaß sind mir erst hier klar geworden. ‚Kawaii‘ bedeutet zunächst mal ‚niedlich‘, ‚süß‘ oder ‚kindlich‘. Man hört es auf der Straße gerne mal, wenn eine Japanerin oder ein Japaner einen von diesen Mini-Fellbällen sieht, die sie hier Hunde nennen. Oder ein (scheinbar) niedliches Geschirr-Set. Oder meine Kinder, die ja hier hohen Seltenheitswert haben mit ihren blonden Haaren und eine kleine Attraktion sind, weil sie auch noch im Doppelpack auftreten. Ein sehr hoch gesprochenes „Kawaaaaaaiiii“ zusammen mit dem Ausdruck der puren Verzückung begegnet uns also schon seit wir hier sind immer mal wieder. Doch die Bedeutung von ‚kawaii‘ geht weit über ein bloßes Adjektiv hinaus. Wikipedia sagt dazu: „Mittlerweile steht er [der Ausdruck ‚kawaii‘] für ein ästhetisches Konzept, das Unschuld und Kindlichkeit betont und sich auf alle Bereiche der japanischen Gesellschaft ausgedehnt hat.“
Und mit allen Bereichen sind auch sehr offizielle oder administrative Bereiche gemeint. Als wir gerade erst angekommen waren und die ersten Ämtergänge hinter uns hatten, kam ein Schreiben, das komplett in Kanji geschrieben war, das ich also ohne Übersetzung nicht zuordnen konnte. Auf dem ganzen mehrseitigen Dokument waren niedliche Comic-Häschen zu finden. Ich hielt es erstmal für nicht weiter wichtig, weil – hallo?!? – HÄSCHEN? Es waren unsere Sozialversicherungsdaten und damit die hier wichtigsten personenbezogenen Nummern für unseren Aufenthalt.
Niedliche Figuren und Maskottchen sind hier sehr beliebt, nicht nur in Vereinen oder im Sport sondern eben auch in Verwaltung oder bei offiziellen Einrichtungen. Pipo-kun zum Beispiel, ein oranges mausähnliches Kerlchen (und ein Kerlchen muss er sein, denn -kun ist die Nachsilbe für Jungen), ist das offizielle Maskottchen der Tokyo Metropolitan Police. Straßenabsperrungen sind hier gerne mal Häschen, Frösche oder andere Tierchen. Erwachsene Japaner sitzen mit ihren Trinkpäckchen in der Bahn, an Designerhandtaschen baumeln Stofftierchen und Japanerinnen folgen in großen Teilen einem Schönheitsideal, das sie möglichst unschuldig und süß aussehen lässt. ‚Kawaii‘, wohin man schaut.
Wenn man hier lebt, ist man täglich von ‚kawaii‘ umgeben, aber diese Woche, habe ich es mal richtig krachen lassen und explizit Jagd auf die Niedlichkeit gemacht. Kindisch sein kann ich auch. Willkommen in meiner bonbonbunten, verrückten, zuckersüßen Woche!
Das Monster Harajuku
Harajuku – ein hippes Streetart-Viertel Tokyos – ist so oder so jeden Ausflug wert. Ausgefallene Mode, entspanntes Publikum, schöne Cafés und eine Menge großer und kleiner Läden machen die Gegend interessant und farbenfroh. Der Designer Sebastian Masuda nennt Harajuku ein Monster, das alles verschlingt und ständig wächst und hat ihm mit dem „Kawaii Monster Café“ ein Denkmal gesetzt. ‚Kawaii‘, eh?
Ich war ja auf einiges gefasst, nachdem ich mir vorher schon Bilder angesehen hatte, aber live war es dann nochmal eine Schippe mehr auf der Regenbogenskala. Mein lieber Freund, war das BUNT. Begrüßt wird man von einer der fünf Harajuku-Girls, Mädels in schönstem Cosplay-artigen Kostüm: Baby, Dolly, Candy, Nasty und Crazy. Wir wurden von Nasty in Empfang genommen, ich konnte mir ein zufriedenes Grinsen nicht verkneifen. Hätte ich mir eine aussuchen dürfen, es wäre wohl Nasty geworden. Immer hinter Nastys ausladendem Rock her ging es zu unserem Platz. Von hier aus konnten wir auch die kleine Show anschauen, die die Harajuku-Girls regelmäßig auf dem Karussell in der Mitte des Cafés aufführen. Bube und Dame stand der Mund offen bei so viel Farbe und Musik. Mir auch. Nachdem wir bunte Spaghetti, einen lila Burger und Pommes mit bunten Soßen verdrückt hatten und uns alles angeschaut haben, war es dann auch wieder Zeit für eine Farbdiät und eine weniger reizüberflutende Umgebung für die völlig überdrehten Kinder. Nicht zu viel auf einmal.
Cheeeeese
Den nächsten ‚kawaii‘-Ausflug hatte ich für mich alleine reserviert. Ich wollte meine Aufmerksamkeit für die bunte Welt der Takeshita-dori, einer schrillen Einkaufsstraße ebenfalls in Harajuku, nicht zwischen Bube, Dame und den unzähligen Details der Umgebung teilen müssen. Außerdem ist die Takeshita ein sehr beliebtes Ziel für Einheimische und Touristen und unter der Woche vormittags noch einigermaßen entspannt. Ein paar Stationen hatte ich mir vorher vorgenommen, ein paar kamen spontan dazu.
Purikura zählte definitiv zu den geplanten Attraktionen. Wer erinnert sich noch dunkel an die Zeit vor Smartphones und Snapchat, als zu unseren ultimativen Teenie-Freundschaftsbeschäftigungen der Besuch eines Passbildautomaten zählte? Zu zweit, zu dritt oder bis an die Schmerzgrenze quetschten wir uns in die kleinen Kabinen und schmissen uns in Pose, was das Zeug hält. Purikura ist genau DAS, nur besser. In zahlreichen unterschiedlichen Automaten können hier gänzlich passuntaugliche selbstklebende Bilder geschossen und im Anschluss mit Filter- und Verzierungsfunktionen bearbeitet werden. Großartig!
Die Takeshita-Straße ist schon ein besonderes Sammelsurium an Süßem und Süßigkeiten. Glitzerstifte, Lipgloss in Disneyfigurenform, Mützen mit Ohren, Onesies in allen Farben und Tierformen oder Plüschtiere sind nur einige Beispiele. Kulinarisch kann man sich durch eine große Auswahl an Lollies, Zuckerwatte, Crêpes und schlichtweg undefinierbaren bunten Kreationen probieren.
Zu den spontanen Programmpunkten zählten zwei Pet-Cafés. Das Mini-Pig-Café musste sein, weil ich diese Miniatur-Schweine mal aus der Nähe sehen wollte. Witzige tiefenentspannte Viecher. Aber noch mehr musste der Owl-Forest sein. Von den Haltungsbedingungen bin ich hier leider gar nicht überzeugt, aber diese wunderschönen Tiere mal ganz nah zu erleben und sogar vorsichtig streicheln zu können, war wirklich faszinierend. Und verdammt sind die flauschig!!
Kaffeekunst
Völlig übersättigt an Eindrücken, aber ansonsten eher hungrig, weil ich die bunten Verpflegungsangebote ausgelassen hatte, habe ich mich noch im Reissue, einem „echten“ Café, niedergelassen, das schon vorher auf meiner Liste stand wegen seiner Latte Art. Ich wusste nicht einmal, dass es so etwas gibt, aber ich war neugierig. Man hat die Wahl zwischen 2D- oder 3D-Art auf seinem Kaffeemilchschaum. Entweder kommt einem aus dem Schaumberg quasi ein niedliches Tierchen entgegen und schaut einen aus der Tasse an oder man kann sich ein Bild wünschen. Ergebnis: sehr guter Kaffee mit beeindruckendem Mini-Kunstwerk und ein leckeres Curry.
Nicht mehr wirklich ‚kawaii‘, aber schön und auch in Harajuku, habe ich mir noch das Wandbild von Zio Ziegler angesehen. Insgesamt also ein rundum gelungener Ausflug in die besonders bunte Seite von Tokyo mit einem Abschluss in Schwarz-Weiß zum Runterkommen.
Yaaaay, TU-Beanie goes Tokyo!!!! Das ist toll, dass das Teil so rumkommt.
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Na aber sicher doch. Immer mit dabei 😊
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